Rechtsprechung

Rechtssätze

Rechtssätze

Auswahl
Filter
  • Fondsgebundene Lebensversicherungen: Arglistanfechtung und Rücktrittsrecht

    07 CG.2018.381 vom 27.05.2025

    In der grundlegenden Entscheidung 07 CG.2018.381 vom 27.05.2025 hat sich der Zivilsenat eingehend mit den Fragen der Zurechenbarkeit des arglistigen Verhaltens von Verhandlungsgehilfen befasst, die von beiden Vertragsteilen bei der Anbahnung des Vertrages bzw. bei geplanten Vertragsänderungen eingesetzt worden sind. In diesem Zusammenhang war auch zu erörtern, wie in atypisch gelagerten Einzelfällen im Rahmen der Rückabwicklung des Vertrages mit dem sog. Entreicherungsrisiko umzugehen ist.

    Davon abgesehen hat die Entscheidung das spezielle VersVG-Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers zum Gegenstand. Dessen Ausübung kann – wiederum in ganz besonders gelagerten Einzelfällen, in denen insbesondere ein Vertrauenstatbestand beim Versicherer geschaffen wurde – ausnahmsweise als widersprüchliches Verhalten und damit als rechtsmissbräuchlich einzuordnen sein.

    Rechtssatz

    1) Vom Versicherer für den Vertrieb von Versicherungsverträgen eingesetzte Absatzmittler sind keine unbeteiligten Dritten iSd § 875 ABGB, sondern sogenannte "unechte" Dritte. Ob diese unechten Dritten zugleich Erfüllungsgehilfen sind, ist für die Arglistanfechtung nicht entscheidend. Entscheidend ist demgegenüber, in welcher Funktion sie die Verhaltensweise setzen, deren Zurechnung fraglich ist, dh, ob sie dabei Interessen des Versicherers oder des (potentiellen) Versicherungsnehmers verfolgen.

    2) Setzt der Versicherer einen Verhandlungsführer ein, so steht der Zurechenbarkeit des arglistigen Verhaltens dieses Verhandlungsführers nicht entgegen, dass der Versicherer von diesem Verhalten keine Kenntnis hatte. Handelt der Verhandlungsführer ausserhalb seiner Kompetenzen, kommt es auf den Rechtsschein an, der bei der Gegenseite erweckt wird.

    3) Der späteren Arglistanfechtung steht eine frühere Kündigung desselben Vertrages nicht entgegen.

    4) Für die Anwendung des § 870 Abs 1 ABGB ist nicht entscheidend, ob der arglistig Getäuschte seinen Irrtum durch Einsichtnahme in öffentliche Register wie Grundbuch oder Handelsregister hätte erkennen können.

    5) Im Falle einer erfolgreichen Arglistanfechtung ist hinsichtlich der Tragung des Veranlagungs- bzw Entreicherungsrisikos in atypisch gelagerten Fällen von einer wertenden Einzelfallbetrachtung auszugehen, auf deren Grundlage dieses Risiko jeweils zuzuweisen ist.

    6) Ein Belehrungsfehler über die Frist, innerhalb derer ein Rücktrittsrecht gem Art 65 VersVG (aF) auszuüben ist, kann auch durch widersprüchliche Angaben des Versicherers begründet sein. Es liegt an ihm, solche Widersprüche zugunsten der zutreffenden Frist unmissverständlich zu beseitigen.

    7) Selbst bei nicht ordnungsgemässer Belehrung über das Rücktrittsrecht gem Art 65 VersVG (aF) kann dessen Ausübung in seltenen Ausnahmefällen rechtsmissbräuchlich sein, wenn besonders gravierende Umstände vorliegen, welche die Ausübung treuwidrig erscheinen lassen. Dies kann namentlich gelten, wenn ein Rücktrittsberechtigter durch erhebliche Zuzahlungen nach Vertragsschluss, zu denen keine Verpflichtung bestand, sowie durch wiederholte Vorschläge zu Vertragsanpassungen und den Austausch über weitere Investitionsmöglichkeiten beim Versicherer einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Erfolgt schlussendlich dennoch ein Rücktritt, so kann dies ein grob widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) darstellen.

    8) Bei Vorliegen einer wirksamen vertraglichen Pflichtenabgrenzung kommt es auf eine Freizeichnung von Pflichtverletzungen nicht an, wenn es dabei um Pflichten geht, die den angeblich Pflichtverletzenden aufgrund der vertraglich vereinbarten Pflichtenverteilung von vornherein gar nicht getroffen haben.

    9) Eine Zurechnung von Erfüllungsgehilfenverhalten ist über § 44 Abs 1 SchlT PGR auch dann möglich, wenn der Erfüllungsgehilfe im Rahmen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses tätig wurde.

    #Arglistanfechtung eines fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrags  #Rechtsschein  #Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers  #Versicherungsnehmer, Rücktrittsrecht  #Rechtsmissbrauch  #bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Dauerschuldverhältnisses  #Entreicherungsrisiko, Tragung  #culpa in contrahendo  #Hilfsperson, Zurechnung  
  • Zur sozialversicherungsrechtlichen Schadenminderungspflicht

    SV.2024.24 vom 04.04.2025

    Rechtssatz

    Die sozialversicherungsrechtliche Schadenminderungspflicht ist im Aufgabenbereich (insbesondere der Haushaltführung) nicht qualitativ bzw quantitativ anders ausgestaltet als die Schadenminderungspflicht im Erwerbsbereich. Es trifft zwar zu, dass die Schadenminderungspflicht im Aufgabenbereich deutlich häufiger Frauen als Männer betrifft. Allein daraus kann indessen kein Rechtsgleichheitsproblem bzw keine Diskriminierung abgeleitet werden. Denn es geht eben im Vergleich von Erwerbstätigkeit und Haushaltführung nicht um eine andere Schadenminderungspflicht und nicht um eine anders ausgestaltete Konkretisierung der Schadenminderungspflicht (E 12.5). Massgebend ist dabei immer der Einzelfall unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände (E 12.6). Die Schadenminderungspflicht gilt nur insoweit, als die betreffende Massnahme im konkreten Einzelfall zumutbar ist (E 12.6).

    SV.2024.24 - OGH.2025.14

    #Haushaltsführung, Mitwirkung von Familienangehörigen und Dritten  #Schadenminderungspflicht, Sozialversicherungsrecht  #Diskriminierungsverbot, Sozialversicherungsrecht  #Rechtsgleichheitsgebot, Sozialversicherungsrecht  
  • Beweiswiederholung und Beweisergänzung

    07 CG.2020.70 vom 04.04.2025

    Rechtssatz

    1) Es ist entscheidend, ob das Verhalten des Gerichts dem durch § 457 Abs 4 ZPO gewährleisteten Informationswert entspricht. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht nach dem Inhalt des Protokolls über die mündliche Berufungsverhandlung entgegen der Bestimmung des § 457 Abs 4 ZPO den Parteien nicht bekanntgegeben, dass es gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts Bedenken habe, es war jedoch offensichtlich auch dem Kläger von vornherein klar, was Gegenstand der vom Berufungsgericht beschlossenen „Beweisergänzung“ (= Beweiswiederholung) war.

    2) Lautet die Geldschuld schlechthin auf eine bestimmte ausländische Währung und ist sie im Inland zu erfüllen, so hat der Gläubiger Anspruch auf Zahlung in dieser Währung – hier: Anpassung des Spruchs an die im Klagebegehren beantragte EURO-Währung.

    07 CG.2020.70 - OGH.2025.15

    #Arbeitsvertrag  #Anspruchsgrundlage, neue  #Neuerungsverbot  #Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht  #Beweisergänzung  #EUR-Währung  
  • AHV-IV-FAK: Zur vollständigen Rückzahlung von bereits abgerechneten Beiträgen

    SV.2024.15 vom 07.03.2025

    Rechtssatz

    Ob Beiträge zugunsten der AHV-IV-FAK-Anstalten geschuldet sind und gegebenenfalls in welcher Höhe, stellt eine Frage dar, bezogen auf welche eine Arbeitgeberin zweifelsohne beschwert ist, wenn die entsprechende Frage strittig wird. Denn ein diesbezüglicher Entscheid der Anstalten bedeutet für die Arbeitgeberin ein Recht bzw eine Pflicht. Insoweit ist eine Arbeitgeberin von einem entsprechenden Entscheid materiell berührt und damit zugleich beschwert (E 10.3). Auch die vollständige Rückzahlung von bereits abgerechneten Beiträgen an die Arbeitgeberin bedeutet einen Eingriff in Rechte und Pflichten der Arbeitgeberin (E 10.4).

    SV.2024.15 - OGH.2025.3

    #AHV-IV-FAK-Beiträge, Abrechnung  #AHV-IV-FAK-Beiträge, Rückzahlung  #AHV-IV-FAK-Beiträge, Beschwer der Arbeitgeberin  
  • Invalideneinkommen: Bedeutung von erworbenen Fähigkeiten

    SV.2024.17 vom 07.03.2025

    Rechtssatz

    Die blosse Unmöglichkeit der Ausübung der bisherigen Erwerbstätigkeit lässt die bisher erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse nicht insgesamt unmassgeblich werden lässt. Vielmehr leuchtet unmittelbar ein, dass Fähigkeiten und Kenntnisse, welche bisher erworben wurden, je nach konkretem Umstand auch in einer Verweisungstätigkeit von Bedeutung sein können (E 10.3).

    Konkretisierung von Kompetenzniveau 2 der LSE: Im Kompetenzniveau 2 geht es um praktische Tätigkeiten wie Verkauf/Pflege/Datenverarbeitung und Administration/Bedienen von Maschinen und elektronischen Geräten/Sicherheitsdienst/Fahrdienst. In Kompetenzniveau 2 sind besondere Fertigkeiten und Kenntnisse verlangt, wozu Führungserfahrung, zusätzliche formale Weiterbildungen oder andere während der Berufsausübung erworbene besondere Qualifikationen gehören (E 10.3).

    SV.2024.17 - OGH.2025.1

    #Invalideneinkommen  #Bestimmung  #Invalideneinkommen, erworbene Fähigkeiten  #Invalideneinkommen, Kompetenzniveau 2 der LSE  
  • Abgrenzung der selbständigen von der unselbständigen Erwerbstätigkeit in AHV-rechtlicher Hinsicht

    SV.2024.13 vom 07.03.2025

    Rechtssatz

    Abgrenzung der selbständigen von der unselbständigen Erwerbstätigkeit in AHV-rechtlicher Hinsicht (Art 34, Art 38 AHVG). Der Rechtsprechung lässt sich direkt entnehmen, dass die entsprechende Abgrenzungsfrage gestützt auf eine Vielzahl von Kriterien zu beantworten ist. Weil die entsprechende Frage nur alternativ beantwortet werden kann (und Mischformen bezogen auf dieselbe Tätigkeit ausgeschlossen sind), geht es in manchen Fällen um das Gewichten von Argumenten. Es sind also regelmässig die verschiedenen Indizien zu berücksichtigen, welche gemäss der Rechtsprechung von Bedeutung sind. Dabei kann sich ergeben, dass einzelne Kriterien für die eine Art der Tätigkeit und andere Kriterien für die gegenteilige Form der Tätigkeit sprechen. Bei dieser Ausgangslage ist jeweils ein Gewichten der einzelnen zu berücksichtigenden Indizien erforderlich (E 14, E 15).

    SV.2024.13 - OGH.2024.95

    #selbständig vs unselbständige Erwerbstätigkeit in AHV-rechtlicher Hinsicht  
  • Zur Haftung nach Art 29 AHVG

    SV.2024.6vom 07.02.2025

    Rechtssatz

    Die Haftung nach Art 29 AHVG setzt folgende Tatbestandselemente voraus:

    -    Schaden

    -    Widerrechtlichkeit

    -    (qualifiziertes) Verschulden

    -    natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang.

    Diese Tatbestandselemente müssen für eine Verantwortlichkeit gestützt auf Art 29 AHVG kumulativ erfüllt sein (E. 7).

    Wenn eine Zahlung an die AHV-Anstalt unter Verwendung eines bestimmten Einzahlungsscheins erfolgt, ohne dass eine Zuordnung zu einer bestimmten Forderung seitens der Arbeitgeberin vorgenommen wird, und fehlt es an einer ausdrücklichen oder an einer sinngemässen Festlegung der Arbeitgeberin, dass entgegen den Angaben auf dem Einzahlungsschein eine Zuordnung zu einer früheren Beitragsperiode vorgenommen werden soll, ist die Bezahlung an die auf dem Einzahlungsschein angegebene Beitragsperiode anzurechnen (E. 10.4.3.).

    Nach Art 34 Abs 2 AHVV hat der Arbeitgeber der Anstalt wesentliche Änderungen der Lohnsumme während des laufenden Jahres zu melden. Damit wird offensichtlich eine zentrale Vorschrift der Versicherung aufgestellt, deren Missachtung zu einer Verantwortlichkeit nach Art 29 AHVG führt. Die fehlende Meldung einer Änderung der massgebenden Lohnsumme ist als grobe Fahrlässigkeit zu werten (E. 11.4.1.). Dass die Überwachung der Wahrnehmung dieser zentralen Pflicht auch zu den Aufgaben eines Verwaltungsrates gehört, steht fest. Gerade wenn von den interessierenden (höheren) Lohnzahlungen die Sozialversicherungsbeiträge abgezogen werden, wird aufgezeigt, dass Kenntnis von den gesetzlichen Vorschriften bestand. In solchen Fällen kann bei Nichtentrichtung der Beiträge an die Revisionsgegnerin nur in ganz besonderen Fällen von einer Haftung abgesehen werden (E 11.4.2.).

    SV.2024.6 - OGH.2024.83

    #Haftung nach Art 29 AHVG  #Verschulden des Verwaltungsrats, Sozialversicherungsrecht  #Schadensbegriff  
  • Einbringung von fristgebundenen Schriftsätzen per E-Mail

    06 CG.2020.185 vom 06.12.2024

    Rechtssatz

    Die Einbringung von fristgebundenen Schriftsätzen per E-Mail ist zulässig.

    06 CG.2020.185 - OGH.2024.102

    #E-Mail, Frist  #Frist, E-Mail  #Einbringung per E-Mail  
  • Zur Kautionspflicht

    07 CG.2022.278 vom 06.12.2024

    Rechtssatz

    1. § 57a ZPO: Forderungen der kautionspflichtigen Insolvenzmasse, die vom Schuldner dem Grunde nach bestritten werden, reichen zum Ausweisen eines Vermögens im Sinn von § 57a ZPO nicht aus.  

    2. §§ 57, 57a ZPO:  Die Vollstreckung zur Hereinbringung der Kosten muss zum Zeitpunkt deren Vollstreckbarkeit mit einiger Wahrscheinlichkeit gewährleistet sein, was eine   Prognose über die Sachlage zu diesem künftigen Zeitpunkt und damit eine Einzelfallprüfung erforderlich macht.

    07 CG.2022.278 - OGH.2024.47

    #Kautionspflicht, Insolvenzmasse  #Masseforderung, Kostenersatz  #Kautionspflicht, Vermögen  
  • Zu ausländischen Gutachten IV-Verfahren

    SV.2024.9 vom 06.12.2024

    Rechtssatz

    In beweisrechtlicher Hinsicht gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung mit Blick auf alle Unterlagen. Dies gilt im Ausgangspunkt auch für ausländische Gutachten. Zugleich steht fest, dass Gutachten, welche nicht im gesetzlich vorgesehenen Verfahren eingeholt werden, nicht externen Gutachten von unabhängigen Sachverständigen gleichgestellt werden können. Solche Gutachten können also im Rahmen einer Beweiswürdigung nicht die besondere Stellung von unabhängigen, externen Sachverständigengutachten erhalten (E 9, E 11).

    Bei einem Gutachten, welches in einem österreichischen Gerichtsverfahren erstellt wurde, ist insoweit von Bedeutung, dass das Gutachten nicht unter Beachtung der verfahrensrechtlichen Anforderungen gemäss IVG erstellt und erstattet wurde. Damit liegt nicht ein Gutachten einer unabhängigen sachverständigen Person vor, sondern ein nicht im gesetzlichen Verfahren eingeholtes Gutachten. Insoweit ist der Beweiswert eines solchen Gutachtens deutlich eingeschränkt und kommt der Festlegung in einer versicherungsinternen Unterlage gleich. Bei solchen versicherungsinternen Grundlagen reichen bereits geringe Zweifel aus, um nicht auf das betreffende Ergebnis abzustellen (E 14).

    SV.2024.9 - OGH.2024.88

    #Beweismittel, Würdigung  #Gutachten, ausländisches  
  • Zur arglistigen Täuschung durch Dritte

    03 CG.2021.228 vom 06.12.2024

    Rechtssatz

    1) Bei insolvenzbedingter Unterbrechung eines bereits vor dem Fürstlichen Obersten Gerichtshofs hängigen Revisionsverfahren ist dieser für die Entscheidung über die Fortsetzung zuständig.

    2) Bei Vorliegen der Fortsetzungsvoraussetzungen des Art 69 IO kann die damit verbundene Berichtigungsnotwendigkeit der Parteibezeichnung auch amtswegig vorgenommen werden. Die Fortsetzung bedingt die Umstellung eines früheren Leistungsbegehrens auf ein Begehren auf Feststellung als Konkursforderung.

    3) Bei der Verfahrensfortsetzung iSd Art 69 IO ist hinsichtlich des Kostenersatzanspruches der Prozessabschnitt vor der Insolvenzeröffnung von jenem danach zu unterscheiden. Dem Rechtsvertreter des Schuldners im ersten Prozessabschnitt gebührt im Obsiegensfall hierfür Kostenersatz, weil dieser Anspruch bereits mit Vornahme der Prozesshandlung als entstanden gilt; der Masse gebührt demgegenüber der Kostenersatzanspruch für den zweiten Prozessabschnitt, sofern das Begehren auf Feststellung als Masseforderung erfolgreich abgewehrt wurde.

    4) Nachdem die Anmeldung einer Schadenersatzforderung auf Naturalrestitution Zug-um-Zug gegen die Übertragung von Wertpapieren im Insolvenzverfahren nicht vorgesehen ist, stellt eine solche Verpflichtung Zug-um-Zug zunächst eine unbestimmte Forderung iSd Art 27 Abs 1 IO dar. Sie bedarf daher im Prüfungsprozess der Schätzung in inländischer Währung zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wobei der so ermittelte Schätzwert auch "Null" betragen kann.

    5) Eine richtlinienkonforme Auslegung von Normen, die von einer verspäteten Richtlinien-Umsetzung betroffen sind, kommt dann nicht in Betracht, wenn sie zu einer Interpretation contra legem führen oder den eigentlichen Umsetzungsakt in das nationale Recht schlechthin ersetzen würde.

    6) Die Möglichkeit der deckungsgleichen Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs auf eigener vertraglicher Grundlage steht der Annahme einer Einbeziehung des insofern Berechtigen (auch) in den Schutzbereich eines Vertrages zugunsten Dritter entgegen.

    7) Eine arglistige Täuschung kann mit Blick auf den Vertragsschluss auch seitens eines Dritten erfolgen und in der Verschweigung von für den Vertragsschluss massgeblichen Umständen liegen. Behauptungs- und beweispflichtig ist dafür grundsätzlich der Getäuschte.

    8) Eine Rechtsrüge, die sich darin erschöpft, in einem einzigen Satz das Vorliegen von Rechts- und Sittenwidrigkeit eines Erwerbsvorgangs iSd § 879 Abs 1 ABGB bloss zu behaupten, ohne darzulegen, worin die dieser Behauptung zugrunde liegenden Verstösse konkret liegen sollen, ist nicht gesetzmässig ausgeführt und darum einer Behandlung durch den Fürstlichen Obersten Gerichtshof entzogen.

    03 CG.2021.228 - OGH.2023.81

    #Fortsetzung eines insolvenzbedingt unterbrochenen Revisionsverfahrens  #Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter  #arglistige Täuschung durch Dritte  #Rechtsrüge, gesetzmässige Ausführung  #Vorlage an den EFTA-Gerichtshof, Voraussetzungen  
  • Zum Informationsrecht des Ermessensbegünstigten

    05 HG.2022.174 vom 08.11.2024

    Rechtssatz

    1. Es ist für die Geltendmachung eines sekundären Feststellungsmangels nicht ausreichend, wenn bloss das Fehlen von Feststellungen gerügt wird. Vielmehr ist immer konkret auszuführen, weshalb in rechtlicher Hinsicht eine andere Beurteilung heransteht, die (hier) zu einer Abweisung der Anträge der Antragstellerinnen führen würde, wenn die Untergerichte die gewünschten zusätzlichen Feststellungen getroffen hätten.

     2. Eine Rechtsrüge, die nicht von den Tatsachenfeststellungen ausgeht und sich in Vermutungen und blossen Annahmen erschöpft, ist mangelhaft. Auszuführen wäre gem § 475 Z 4 ZPO vielmehr, warum das Berufungsgericht bei der Beurteilung des festgestellten Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist. Soweit das Rechtsmittel nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen, sondern von einem Wunschsachverhalt ausgeht, ist es nicht dem Gesetz ausgeführt und bleibt insoweit unbeachtlich.

     3. Wurde ein Verfahrensmangel erster Instanz im Rechtsmittel an die zweite Instanz geltend gemacht, von der zweiten Instanz jedoch verneint, dann kann dieser erstinstanzliche Mangel nach stRsp in der dritten Instanz nicht mehr gerügt werden.

     4. Im Falle eines Ermessensbegünstigten kann der Stiftungsrat oder das sonst zuständige Organ durch Beschlussfassung unmittelbar einen Vermögensanspruch schaffen. Könnte der Stiftungsrat bzw das zuständige Organ aktuell einen Ausschüttungsentscheid fassen, ist von einem Ermessensbegünstigten zu sprechen. Bei einem blossen Anwärter ist dies nicht möglich, sei es, dass bestimmte Ereignisse oder Bedingungen noch nicht eingetreten sind, sei es, dass der Anwärter aus einem bestimmten Kreis von Zweckadressaten überhaupt erst zum Begünstigten bestellt werden müsste.

     5. Ein Begünstigter ist grundsätzlich berechtigt, zur Kontrolle der Rechtmässigkeit der Verwendung und Verwaltung des Stiftungsvermögens durch den Stiftungsrat entsprechende Informationsbegehren bei Gericht zu stellen. Dazu zählen auch Informationen darüber, wer der Stiftung aus welchem Grund Zuwendungen gemacht hat.

    05 HG.2022.174 - OGH.2024.84

    #sekundäre Feststellungsmängel, mangelhafte Rechtsmittelausführung  #Rechtsrüge, mangelhaft  #Verfahrensmängel, vom Rekursgericht verneinte  #Ermessensbegünstigung, Voraussetzungen  #Ermessensbegünstigte, Informationsrecht  #Rechtsmissbrauch  #Informationsrecht des Begünstigten, eingezahlte Beträge  #Informationsrecht des Begünstigten, Grund der Einzahlung  #Informationsrecht des Begünstigten, Person des Einzahlers  #Geheimhaltungsinteresse der Stiftung  
  • Zum Verzicht auf die Geltendmachung eines Schadenersatzbetrages samt Schmerzengeld im Sinne des § 1444 ABGB

    01 KG.2023.24 vom 08.11.2024

    Rechtssatz

    1. Ein blosses Tatsachengeständnis ohne Eingeständnis der subjektiven Merkmale des strafbaren Verhaltens ist unter dem Aspekt des reumütigen Geständnisses nicht mildernd.

    2. Als Beitrag zur Wahrheitsfindung ist ein Tatsachengeständnis im Sinne des § 34 Abs 1 Z 17 StGB nur dann zu berücksichtigen, wenn es sich massgeblich auf die Beweisführung ausgewirkt hat.

    3. Blosse wörtliche Provokationen durch das Tatopfer sind in der Regel nicht schuldmindernd.

    4. Das aufgrund der Subsidiaritätsklausel des § 94 Abs 4 StGB tatbestandsmässig nicht zu erfassende Imstichlassen des verletzten Tatopfers ist unter den Gesichtspunkten des § 32 Abs 2 und Abs 3 StGB schulderhöhend zu werten.

    5. Es ist mit der Konvention vereinbar, wenn die Beurteilung von Bagatelldelikten Verwaltungsbehörden übertragen wird, solange der Betroffene die Möglichkeit hat, die entsprechende Entscheidung durch ein Gericht iSd Art 6 EMRK überprüfen zu lassen.

    6. Ein unentgeltlicher Verzicht auf Rechtsausübung ist nur anzunehmen, wenn sich der Verzicht aus der Erklärung unzweifelhaft ergibt. Eine derartige Erklärung ist eng bzw. einschränkend auszulegen.

    7. Provokationen können ein Mitverschulden begründen, wenn sie geeignet sind, den Verletzer in einen Gemütszustand zu versetzen, von welchem angenommen werden kann, dass er sich zu Tätlichkeiten hinreissen lassen wird. Wörtliche Provokationen genügen in der Regel nicht, um ein Mitverschulden des Verletzten zu begründen.

    01 KG.2023.24 - OGH.2024.92

    #Tatsachengeständnis  #Wahrheitsfindung, Beitrag  #schuldmindernde Provokation durch das Tatopfer  #Handlungseinheit, tatbestandliche  #Schweizer Strafbefehlsverfahren, Rechtsnatur  #privatrechtliche Ansprüche  #Verzicht auf die Geltendmachung eines Schadenersatzbetrages samt Schmerzengeld  #Schmerzengeld, Globalbemessung  #Mitverschulden des Verletzten  
  • Zum Urkundenbeweis

    15 PG.2022.31 vom 04.10.2024

    Rechtssatz

    § 266 ZPO: Der Inhalt einer im Verfahren vorgelegten Urkunde, die ihrem Inhalt nach unstrittig ist, kann der Entscheidung des Rechtsmittelgerichtes ohne weiteres zugrunde gelegt werden. Das wird damit begründet, dass der unstrittige Wortlaut einer Urkunde wie unstrittiges Parteivorbringen bei einer Entscheidung über den Revisionsrekurs berücksichtigt werden kann. Das gilt auch für das Ausserstreitverfahren.

    15 PG.2022.31 - OGH.2024.72

    #Kindesunterhalt  #Urkundenbeweis, Rechtmittelverfahren  
  • Zurücknahme der Klage während des Revisionsverfahrens

    08 CG.2018.269 vom 04.10.2024

    Rechtssatz

    §§ 482, 453 Abs 4 ZPO: Die Zurücknahme der Klage ist, soweit sie Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, mit Zustimmung der beklagten Partei bis zur Entscheidung über die Revision zulässig; das ist mit deklarativem Beschluss zur Kenntnis zu nehmen. Gleichzeitig ist mit Beschluss festzustellen, dass die Urteile der Vorinstanzen im Umfang der Zurücknahme der Klage wirkungslos sind. Eine Zurückziehung der Klage bezüglich der beim Erstgericht noch nicht erledigten Ansprüche bzw Teilansprüche ist ebenso wenig zulässig wie bezüglich der bereits rechtskräftig gewordenen Urteilsaussprüche; im ersten Fall kann die Klagerücknahme nur vor dem Erstgericht wirksam erfolgen, im zweiten Fall überhaupt nicht.

    08 CG.2018.269 - OGH.2024.36

    #Klage, Zurücknahme während des Revisionsverfahrens  #Revisionsverfahren, Zurücknahme der Klage  
  • Zur Unterbrechung des Verfahrens bei Tod einer Partei

    09 CG.2019.181 vom 06.09.2024

    Rechtssatz

    1) § 36 Abs 1 und 2 ZPO: Da § 36 Abs 1 ZPO die Vollmacht aufgrund eines Widerrufs oder einer Kündigung als aufgehoben ansieht („herbeigeführte Aufhebung der Vollmacht“), würde es für die Verhinderung der Verfahrensunterbrechung nicht ausreichen, wenn – etwa wegen einer Vollmachtskündigung noch vor dem Todeszeitpunkt - der Tod der Partei in die 14-tägige Interessenwahrungspflicht des § 36 Abs 2 fällt.

    2) § 155 Abs 1 ZPO: Das Verfahren wird im Fall des Ablebens einer Prozesspartei nur dann unterbrochen, wenn die verstorbene Partei nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war. Zweck dieser Bestimmung ist es, durch den Tod einer Partei bedingte Verzögerungen zu verhindern und die möglichst reibungslose Fortsetzung des Verfahrens zu ermöglichen. Die Vollmacht muss im Zeitpunkt des Todes der Partei noch aufrecht sein, damit das Verfahren nicht unterbrochen wird.

    3) § 495 Abs 2 ZPO: Der Rekurs an den OGH aufgrund eines Rechtskraftvorbehalts im Rekursverfahren ist als „Rekurs“ zu bezeichnen.

    #Verfahren  
  • Getendmachung von sekundären Feststellungsmängeln und Verfahrensmängeln; Geschäftsführungsmassnahmen der Stiftungsverwaltung; Substiftungen

    05 CG.2019.249 vom 06.09.2024

    Rechtssatz

    1) § 465 Abs 1 Z 3 ZPO, § 475 Abs 1 Z 2 ZPO: Zur Geltendmachung von sekundären Feststellungsmängeln: Es ist unter dem Gesichtspunkt des § 475 Abs 1 Z 2 ZPO nicht ausreichend, wenn bloss das Fehlen bestimmter Feststellungen gerügt wird. Vielmehr ist konkret auszuführen, weshalb in rechtlicher Hinsicht eine andere Beurteilung, die zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen würde, heransteht, wenn die Untergerichte zusätzliche Feststellungen getroffen hätten.

    2) § 465 Abs 1 Z 2 ZPO: Der Verfahrensmangel muss abstrakt geeignet sein, eine „unrichtige Entscheidung“ (für den Rechtsmittelwerber ungünstige Entscheidung) herbeigeführt zu haben. Hatte die vorgefallene Mangelhaftigkeit bei abstrakter Betrachtung keinen möglichen Einfluss auf die Entscheidung, liegt auch keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor (notwendige Kausalität des Verfahrensmangels).

    3) § 24 Abs 1, § 25 Abs 1 StiftG, § 1295 Abs 2 ABGB: Dem Begünstigten kommt mangels entsprechender vertraglicher Weisungsrechte grds kein Mitwirkungs-, geschweige denn ein Vetorecht gegen eine Geschäftsführungsmassnahme der Stiftungsverwaltung zu. Unterlassungsanspruch eines Begünstigten gegen eine Geschäftsführungsmassnahme des Stiftungsrats nur dann, wenn ein widerrechtliches Verhalten im Sinne eines groben Ermessensmissbrauchs im Sinne des § 1295 Abs 2 ABGB vorliegt.

    4) § 2, § 24 Abs 1, § 25 Abs 1 StiftG: Zur Zulässigkeit von Substiftungen: Die Errichtung und die damit verbundene Vermögensübertragung von der Haupt- auf die Substiftung muss entweder durch eine ausreichend konkrete Anordnung durch den Stifter zur Errichtung einer Substiftung (bzw durch eine zulässige Änderung der Statuten) oder durch den Stiftungszweck der Hauptstiftung gedeckt sein. Entscheidend ist, dass der Stiftungsrat den Stiftungszweck der Hauptstiftung erfüllt.

    05 CG.2019.249 - OGH.2024.25

    #Feststellungsmängel, Geltendmachung  #Feststellungsmängel, rechtliche  #Verfahrensmangel, Wesentlichkeit (Kausalität)  #Verfahrensart  #Bindungswirkung des Beschlusses  #Unterlassungsanspruch des Begünstigten gegen Geschäftsführung des Stiftungsrats, Ermessensmissbrauch  #Substiftungen, Voraussetzungen zur Gründung  
  • Zum gutgläubigen Erwerb eines unterschlagenen McLaren

    05 CG.2021.163 vom 05.07.2024

    Rechtssatz

    1) Im Anwendungsbereich des Art 40 IPRG ist ein Darlehensvertrag an den gewöhnlichen Aufenthalt oder die Niederlassung derjenigen Vertragspartei anzuknüpfen, welche die Darlehenssumme zur Verfügung stellt. Der Darlehensgeber ist der Erbringer der vertragscharakteristischen Leistung. Die Lokalisierung derjenigen Partei, die Zinsen für die Gewährung des Darlehens schuldet, ist kollisionsrechtlich ohne Belang.

    2) Was im Einzelfall für den gutgläubigen Erwerb einer beweglichen Sache vom Nichtberechtigten an Nachforschungs- und Sorgfaltspflichten seitens des Erwerbers zu erfüllen ist und welche konkreten Umstände diese Pflichten auslösen, ist objektiv zu beurteilen und weitgehend Gegenstand richterlichen Ermessens iSd Art 4 SR. Die blosse Möglichkeit zusätzlicher Nachforschungen über die Verfügungs­be­rechtigung ist irrelevant; entscheidend ist, was im Erwerbszeitpunkt (also ex ante) geboten war. Dem jeweils betroffenen Geschäftszweig kommt dabei typen- und massstabsbildende Bedeutung zu. So gelten etwa für den Handel mit und die Belehnung von Gebrauchtwaren gesteigerte Anforderungen an die Gutgläubigkeit.

    3) Bei der Abwägung zwischen Bestands- und Verkehrsinteressen kommt den richterlich zu konkretisierenden Anforderungen an die vom gutgläubigen Erwerber zu erfüllenden Nachforschungs- und Sorgfaltspflichten zentrale Scharnierfunktion zu: Je strenger die Anforderungen sind, desto schwächer ist die Rechtsscheinwirkung des Besitzes und umgekehrt.

    4) Während ein auffallend tiefer Kaufpreis Anlass zu Misstrauen gibt und dementsprechend die Erfüllung besonders gesteigerter Nachforschungspflichten beim Käufer für dessen Gutgläubigkeit bedingt, gilt das für den Pfandgläubiger und Darlehensgeber, dessen Gegenüber einen tiefen Belehnungswert der Pfandsache (hier: eines Fahrzeuges) akzeptiert, nicht in demselben Masse.

    5) Die Seltenheit oder der hohe Wert eines als Pfand angebotenen Fahrzeugs begründet für sich alleine noch keinen Misstrauensanlass für den späteren Pfandgläubiger. Denn die Annahme ist nicht zwingend, dass Verpfänder solcher Gegenstände häufiger unredlich handelten als jene, die weiter verbreitete oder weniger wertvolle Gegenstände verpfänden. Dementsprechend ist es weniger der Wert oder Verbreitungsgrad eines Fahrzeuges als vor allem die Schwäche des durch seinen Besitz vermittelten Rechtsscheines, welche gesteigerte Sorgfaltspflichten gebietet. Der Rechtsschein einer Besitzlage hängt demnach nicht grundsätzlich vom Wert des Besitzes ab.

    6) Dubiose Umstände eines Vertragsschlusses begründen stets gesteigerte Nachforschungspflichten beim Erwerber, der sich auf Gutgläubigkeit beruft.

    7) Eine AGB-Klausel, welche die Berechtigung zur umfassenden privaten Verwertung einer Pfandsache einschliesslich Selbsteintritt enthält, ist im Verkehr mit Banken, Pfandleihhäusern und vergleichbaren Einrichtungen weder unüblich noch kommt ihr ein verpönter Überrumpelungseffekt zu. Sie ist daher nicht ungewöhnlich iSd § 864a ABGB.

    05 CG.2021.163 - OGH.2023.102

  • Zum Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen

    SV.2023.28 vom 05.07.2024

    Rechttsatz

    Damit eine Eingliederungsmassnahme zu gewähren ist, müssen objektiv Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit vorhanden sein. Kein Anspruch auf Massnahmen besteht insoweit, wenn die Eingliederungsfähigkeit durch invaliditätsfremde Faktoren an ihrer Entfaltung verhindert ist. Die Eingliederungsmassnahme muss mithin immer eingliederungswirksam sein (E 11.1).

    Das IVG und das ALVG berücksichtigen die Besonderheiten bei behinderten Personen. Bezogen auf die Vermittlung durch die Arbeitslosenversicherung fällt nämlich ins Gewicht, dass für Personen mit einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung besondere Voraussetzungen gelten. Insoweit ergänzen sich die beiden auf die Vermittlung bzw die Verwertung der Restarbeitsfähigkeit gerichteten Sozialversicherungs­zweige IV und ALV. Beide Sozialversicherungszweige nehmen Bezug auf die ausgeglichene Arbeitsmarktlage und ordnen hier die besonderen Rechte von behinderten Personen (E 13.4 und 13.5).

    SV.2023.28 - OGH.2024.35

  • Zur Rückforderung von zu Unrecht bezahlten IV-Renten

    SV.2023.36 vom 05.07.2024

    Rechtssatz

    Art 82 Abs 2 AHVG legt bei der Rückforderung von zu Unrecht erbrachten Leistungen eine relative und eine absolute Frist fest, wobei es sich dabei um Verwirkungsfristen handelt. Verwirkungsfristen sind – im Sozialversicherungsrecht – dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht unterbrochen oder gehemmt werden können und dass deren Bestand bzw. deren Ablauf von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Die Annahme einer aus Art. 82 AHVG abzuleitenden formellen Verjährungsfrist würde eine klare Abweichung von der schweizerischen Rezeptionsvorlage bedeuten. Gesichtspunkte, welche eine solche grundlegende, weit reichende Abweichung nahelegen würden, sind nicht ersichtlich. Wird die Rückforderung innert dieser Fristen geltend gemacht, ist die Frist für die Rückforderung ein für alle Mal gewahrt (E 10).

    SV.2023.36 - OGH.2024.22

  • Zur Bestimmung des Valideneinkommens

    SV.2023.21 vom 05.07.2024

    Rechtssatz

    Kann für die Festlegung des Valideneinkommens nicht auf das zuletzt erzielte Einkommen abgestellt werden bzw. lässt sich das Valideneinkommen aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse nicht hinreichend genau beziffern oder ist davon auszugehen, dass die versicherte Person als Gesunde nicht mehr an der bisherigen Arbeitsstelle tätig wäre, so darf bzw. muss auf statistische Werte wie die vom (schweizerischen) Bundesamt für Statistik herausgegebenen Lohnstrukturerhebungen (LSE) zurückgegriffen werden. Dabei müssen die für die Entlöhnung im Einzelfall relevanten persönlichen und beruflichen Faktoren mitberücksichtigt werden. In einem solchen Fall stellt sich dann zudem die Frage, was die versicherte Person ohne den Gesundheitsschaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit effektiv gearbeitet hätte (E 9).

  • Zum Rechtskraftvorbehalt

    01 KG.2024.2 vom 05.07.2024

    Rechtssatz

    Auch ohne Rechtskraftvorbehalt ist die Revision zulässig, wenn es sich beim aufhebenden Urteil des Berufungsgerichtes in Wirklichkeit um eine abändernde Entscheidung mit prozessbeendender Wirkung handelt.

    01 KG.2024.2 - OGH.2024.61

    #Rechtskraftvorbehalt  
  • Auslieferung zur Vollstreckung: rechtsstaatliche Mängel in einem EMRK-Mitgliedsstaat

    11 RS.2024.51 vom 06.06.2024

    Rechtssatz

    Die Übernahme der Vollstreckung bewirkt ein Ruhen des inländischen Vollstreckungsanspruches.

    Die Anhängigkeit eines Verfahrens zur Übernahme der Vollstreckung in einem anderen Staat stellt kein im Gesetz vorgesehenes Auslieferungshindernis dar.

    Auch gravierende rechtsstaatliche Mängel in einem EMRK-Mitgliedsstaat rechtfertigen keine generelle Relativierung des völkerrechtlichen Vertrauensgrundsatzes.

    Der Nachweis, dass gerade seine aus Art 6 geschützten Rechte im Zielstaat konkret verletzt wurden oder bedroht sind, ist vom Betroffenen zu erbringen.

    Der Widerruf einer bereits rechtskräftig ausgesprochenen, zunächst bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe fällt nicht in den Schutzbereich des Art 6 EMRK.

    11 RS.2024.51 - OGH.2024.41

  • Zur Abberufung eines Datenschutzbeauftragten

    08 CG.2021.120 vom 03.05.2024

    Rechtssatz

    Art 38 Abs 3 DSGVO, Art 7 Abs 3 DSG: Die Abberufung des Datenschutzbeauftragten einer öffentlichen Stelle wegen der Erfüllung seiner Aufgaben ist generell unzulässig.

    Art 7 Abs 4 DSG: Im Übrigen ist die Abberufung bzw Kündigung des Datenschutzbeauftragten einer öffentlichen Stelle nur aus einem wichtigen Grund möglich. 

    Art 7 Abs 3 und 4 DSG: Ein Aufhebungsvertrag ist zulässig.

    § 257 Abs 7 ZPO: Ein nach dieser Bestimmung verspätet eingebrachter Schriftsatz, der inhaltlich zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war und vom Gericht verwertet wurde, ist zu entlohnen.

    08 CG.2021.120 - OGH.2024.15

  • Zur Frage der Anpassung bzw Revision der laufenden Verwitwetenrente

    SV.2023.41 vom 03.05.2024

    Rechtssatz

    Es bildet Kennzeichen der Regelung der Verwitwetenrente für geschiedene Personen, dass diese prinzipiell ohne zeitliche Begrenzung zu leisten ist, sobald im Zeitpunkt des Tods des unterhaltsverpflichteten Ehegatten der Anspruch auf die Verwitwetenrente entsteht. Art 58 und Art 70 AHVG enthalten keine hinreichende Regelung, dass bei späteren Sachverhaltsänderungen eine Anpassung bzw Revision der laufenden Rente vorgenommen werden könnte. Das Legalitätsprinzip schliesst deshalb aus, hier eine Anpassung bzw Revision der laufenden Hinterlassenenrente vorzunehmen.

    SV.2023.41 - OGH.2024.24

  • Zur Bindungswirkung des Aufhebungsbeschlusses und zur Sachlegitimation

    Urteil vom 03.05.2024

    Rechtssatz

    1) Auch der Oberste Gerichtshof selbst ist im weiteren Verfahren an seine in einem Aufhebungsbeschluss oder in einem einen zweitinstanzlichen Aufhebungsbeschluss bestätigenden Beschluss geäusserte Rechtsansicht gebunden, ausser es haben sich nach der Aufhebung der massgebliche Sachverhalt oder die Rechtslage geändert.

    2) Das Bestehen der Sachlegitimation ist keine Prozessvoraussetzung, sondern eine Frage des materiellen Rechts. Mangelnde Sachlegitimation führt zur Abweisung des Sachantrags.

    04 CG.2020.110 - OGH.2023.109

  • Kein Kostenersatzanspruch für Selbstvertretung eines Rechtsanwaltes im Straf- bzw Disziplinarverfahren

    DO.2021.10 vom 03.05.2024

    Rechtssatz

    Unter den Gebühren der Verteidiger und anderer Parteienvertreter im Sinne des § 301 Abs 1 Z 4 StPO sind nur die Kosten eines tatsächlich in Anspruch genommenen Vertreters zu verstehen, nicht aber die Entschädigung, die eine rechtskundige Partei für ihre eigene Betätigung im Verfahren in Anspruch nimmt.

    Mit Art 1 Abs 2 RATG wird lediglich die Anwendbarkeit des RATG als Berechnungsgrundlage konstituiert, jedoch keine eigene Rechtsgrundlage für den Kostenersatzanspruch geschaffen.

    Die Grundsätze des Zivilverfahrens unterscheiden sich von jenen des Strafverfahrens derart, dass eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Tragung der Kosten der Rechtsvertretung in beiden Verfahrensarten nicht zwingend geboten ist.

    DO.2021.10 - OGH.2024.29

  • Schadenersatz der Versicherung bei Aufklärungspflichtverletzung

    05 CG.2022.163 vom 05.04.2024

    Rechtssatz

    1)   Das Vertragsstatut des Art 39 IPRG erfasst grundsätzlich sämtliche der sich aus dem Vertrag ergebenden Beziehungen zwischen den Vertragsparteien. Dazu gehören auch die Folgen einer Vertragsverletzung, wie insbesondere Schadenersatzansprüche. Für das auf Grundlage des IVersG ermittelte Statut von Versicherungsverträgen gilt nichts anderes.

    2)   Schadenersatzansprüche aufgrund von verletzten Aufklärungs- oder Beratungspflichten unterliegen selbst dann dem (hypothetischen) Vertragsstatut, wenn sie das vorvertragliche Stadium betreffen. Folgt das Vertragsstatut aus einer Rechtswahl zwischen den Vertragsparteien, so bindet diese auch Dritte, deren Rechte mit dem Vertragsverhältnis begründet und die auf dessen Grundlage begünstigt werden sollen (hier: Bezugsberechtigte einer Lebensversicherung).

    3)   Bei behaupteter Verletzung einer Aufklärungspflicht durch Unterlassung bleibt der Geschädigte für die Kausalität der Pflichtverletzung hinsichtlich Schadenseintritt und -umfang beweispflichtig. Die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf Wahrscheinlichkeiten bei der Beweisführung ändert daran nichts. Ein kausalitätsbezogenes non liquet (hier: fehlendes Beweisergebnis hinsichtlich des schadensvermeidenden Verhaltens Dritter bei hypothetisch erfolgter Aufklärung durch den Vertragspartner) steht dem Zuspruch von Schadenersatz entgegen.

    4) Der Rechtswidrigkeitszusammenhang bildet eine (auch für die vertragliche Haftung relevante) Voraussetzung der Ersatzpflicht. Gehaftet wird nur für die Verletzung jener Interessen, derentwegen ein bestimmtes Verhalten gefordert oder untersagt ist. Mit Blick auf gesetzliche Bestimmungen ist deshalb vorab durch Auslegung zu ermitteln, ob deren Schutzbereich sowohl für den jeweiligen Schaden (sachlich) als auch mit Blick auf den Geschädigten (persönlich) eröffnet ist.

    5)   Ob es sich bei einem Meinungsstand in der Literatur um die sog herrschende Meinung handelt, ist nicht bloss nach quantitativen Merkmalen (Anzahl der Vertreter einer Meinung), sondern vielmehr im Lichte einer Gesamtschau qualitativer Kriterien zu beurteilen. Sofern es um die Anwendung ausländischen Rechts geht, ist ein Rückgriff auf die dort herrschende Literaturmeinung nur subsidiär. Für ihn bleibt kein Raum, wenn die jeweilige Rechtsfrage durch ausländische höchstgerichtliche Rechtsprechung bereits eindeutig beantwortet ist.

     

    05 CG.2022.163 - OGH.2023.96

  • Zur Beweislastverschiebung

    15 CG.2020.30 vom 05.04.2024

    Rechtssatz

    Eine Beweislastverschiebung ist auf Ausnahmefälle beschränkt, in denen die „Nähe zum Beweis“ – im Einzelfall – den Ausschlag für die Zuteilung der Beweislast gibt; etwa dann, wenn Tatfragen zu klären sind, die „tief in die Sphäre einer Partei hineinführen“. Zu einer Verschiebung der Beweislast kommt es also (nur) dann, wenn der Kläger mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismässige Beweisschwierigkeiten hat, wogegen dem Beklagten diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihm daher nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben. Allein durch einen Beweisnotstand wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls ist eine Verschiebung der Beweislast hingegen nicht gerechtfertigt (hier: Ansprüche nach Art 218 ff PGR und §§ 1293 ff ABGB).

    15 CG.2020.30 - OGH.2023.107

    #Beweislast  
  • Keine Fristwahrung durch E-Mail-Eingaben oder DHL-Übermittlung

    07 CG.2022.78 vom 05.04.2024

    Rechtssatz

    § 126 Abs 3 ZPO: Die Nichteinrechnung der Tage des Postenlaufes in die Frist gilt nur bei der Aufgabe der Sendung bei der Post, nicht bei Aufgabe der Sendung bei privaten Kurierdiensten (hier DHL).

    07 CG.2022.78 - OGH.2023.44

  • IV: Erschliessung des Gartens zur Rollstuhlbenutzung

    SV.2023.44 vom 05.04.2024

    Rechtssatz

    Klärung der Frage, was bei der Hilfsmittelversorgung eine „Änderung in der Wohnung“ darstellt. Der klare Wortlaut von Ziff 14.04 Anhang IVV schliesst es aus, eine erstmalige, auf eine Rollstuhlbenutzung gerichtete Einrichtung eines von der Wohnung räumlich getrennten Gartens im Rahmen einer “Änderung in der Wohnung“ im Rahmen der Hilfsmittelversorgung zu vergüten. Dass ein Aufenthalt der versicherten Person im Freien wünschenswert und allenfalls auch notwendig ist, kann angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmung auch unter grundrechtlichen Aspekten nicht zu einem anderen Ergebnis führen (E 10.4).

    Die Anrufung der Austauschbefugnis setzt eine funktionelle Gleichartigkeit zwischen den beiden in Frage stehenden Leistungen voraus. Es fehlt bei einer Erschliessung eines (nicht zur Wohnung gehörenden) Gartens zur Benutzung mit dem Rollstuhl anstelle der Erschliessung einer Terrasse durch einen Treppenlift an einer solchen funktionellen Gleichartigkeit. Es geht bei der angestrebten Erschliessung des Gartens nicht darum, dass die versicherte Person die Wohnstätte benutzen und verlassen kann. Vielmehr wird damit ermöglicht, dass die versicherte Person sich an einem von ihr bestimmten Platz im Freien aufhalten kann. Dass dies sinnvoll und allenfalls auch notwendig ist, bedeutet noch nicht, dass bezogen auf den Treppenlift eine funktionelle Gleichartigkeit besteht. Würde in einem solchen Fall eine funktionelle Gleichartigkeit angenommen, würde es der versicherten Person ermöglicht, durch Verzicht auf die Inanspruchnahme eines Hilfsmittels einen frei gewählten sonstigen Gebrauch der entsprechenden finanziellen Mittel vorzunehmen, was von der Austauschbefugnis nicht erfasst wird (E 13.3).

    SV.2023.44 - OGH.2024.14

  • Nachträgliche Unteraufsichtstellung einer Stiftung

    06 HG.2022.34 vom 05.04.2024

    Rechtssatz

    Art 552 § 32 PGR: Die nachträgliche Unteraufsichtstellung einer Stiftung bedarf einer sachlichen Rechtfertigung. Sie muss immer zur Verbesserung im Rahmen des Stiftungszwecks führen. Statuten dürfen nicht leichtfertig geändert werden. Eine Änderung der Organisationsstruktur der Stiftung ist nur in ganz wenigen Fällen gerechtfertigt.

    Das Bestreben eines Stiftungsrats, sich eines unliebsamen Kontrollorgans oder unliebsamer Begünstigter zu entledigen, vermag eine Änderung der Organisationsstruktur durch Unteraufsichtstellung nicht zu rechtfertigen. Ebenso wenig stellen die Entspannung einer Konfliktsituation oder eine behauptete «aktuelle finanzielle Situation» einen sachlichen Rechtfertigungsgrund zur Schaffung einer zusätzlichen Kontrollinstanz dar.

    06 HG.2022.34 - OGH.2023.127

  • Revisibilität nach liechtensteinischem Zivilprozessrecht

    09 CG.2022.76 vom 05.04.2024

    Rechtssatz

    Das internationale Zivilprozessrecht wird vom Grundsatz der sogenannten lex fori beherrscht, wonach das jeweilige Gericht das Verfahrensrecht seines Landes anzuwenden hat. Die Frage der Revisibilität bestimmt sich hier trotz des anzuwendenden deutschen Sachrechts nach liechtensteinischem Zivilprozessrecht.

    09 CG.2022.76 - OGH.2023.111

  • Zum Unmittelbarkeitsgrundsatz

    06 CG.2020.185 vom 05.04.2024

    Rechtssatz

    §§ 482, 437 Abs 1, 75 Z 3 ZPO: Die Einbringung einer Revisionsbeantwortung per E-Mail ist unzulässig und insbesondere nicht fristwahrend.

    § 281 a ZPO: Die Verlesung von als Urkunden vorgelegten Protokollen über die Einvernahme von Zeugen in einem anderem Gerichtsverfahren ist nur unter den Voraussetzungen des § 281a ZPO zulässig.

    § 196 ZPO: Die angebliche Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit ist seit der ZPO-Novelle 2018 rügepflichtig.

    06 CG.2020.185 - OGH.2023.89

  • Fiduziarischer Errichtung des Trusts: Auskunftsrechte des Treugebers

    06 CG.2020.232 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Art 552 § 4 Abs 3 PGR: Die Bestimmung des Art 552 § 4 Abs 3 PGR kann auf den Trust analog herangezogen werden. Auch im Fall der fiduziarischen Errichtung eines Trusts durch einen indirekten Stellvertreter ist der Geschäftsherr (Machtgeber) als Treugeber anzusehen.

    Art 917 PGR, § 49 Abs 3, § 68 TrUG: Dem Treugeber stehen auch bei fiduziarischer Errichtung des Trusts Auskunfts- und Einsichtsrechtsrechte gegenüber den Treuhändern des Trusts zu. Diese Rechte müssen nicht in der Treuanordnung vorbehalten werden.

    § 863 ABGB: Ein stillschweigender Verzicht (hier: auf Informationsrechte des Treugebers) darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er vom konkludent Erklärenden ernstlich gewollt ist.

    06 CG.2020.232 - OGH.2023.95

  • Zur Ausschaffungshaft

    12 UR.2024.1 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Auch passives Verhalten bei der Identitätsabklärung und Papierbeschaffung kann die Annahme einer Untertauchensgefahr begründen.

    Art 61a Abs 5 AuG fordert den Beistand eines Verteidigers nicht schon bei der Anordnung oder Durchführung der Verhandlung gemäss Art 60 Abs 3 AuG zur Überprüfung der Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft.

    Worüber der Betroffene in der Haftverhandlung im Ausschaffungsverfahren zu belehren ist, ist in Art 61a Abs 2 AuG geregelt.

    Die Anwendung gelinderer Mittel ist auch im Falle einer Ausschaffungshaft zu prüfen.

    12 UR.2024.1 - OGH.2024.9

  • Zur Verzinsung von rechtsgrundlos vorenthaltenen Geldbeträgen

    08 CG.2022.207 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    §§ 1479, 1480 ABGB in Verbindung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz: Unter gewissen Umständen verjähren (Vergütungs)Zinsen aus rechtsgrundlos vorenthaltenen Geldbeträgen erst nach dreissig Jahren und gebühren auch schon für den Zeitraum vor Einmahnung.   

    § 487 Abs 1 ZPO: Auch ein vom Berufungsgericht gefasster Urteilsberichtigungsbeschluss ist ein im Berufungsverfahren ergangener Beschluss, gegen den gemäß § 487 Abs 1 ZPO ein Rekurs unstatthaft ist.

    §§ 423, 465 Abs 1 Z 1 ZPO: Ein nicht erledigter Sachantrag scheidet mangels Rüge aus dem Verfahren aus.

    § 475 Abs 1 Z 2 ZPO: Der Verweis in der Revision auf den Inhalt von anderen in derselben oder in einer anderen Rechtssache erstatteten Schriftsätzen (Rechtsmitteln) ist nicht zulässig.

    Art XV EGZPO:  Bei der Fällung eines Teilurteils über die Verpflichtung zur Rechnungslegung müssen auch die Grundlagen des erst zu beziffernden Leistungsbegehrens geklärt werden. Allerdings müssen die Grundlagen des Zahlungsbegehrens nur soweit geprüft werden, als sie sich mit den Grundlagen der Rechnungslegungspflicht decken. Über verjährte Herausgabeansprüche muss nicht Rechnung gelegt werden, weshalb schon im Manifestationsverfahren die Verjährung des Anspruchs auf Herausgabe zu prüfen ist.

    08 CG.2022.207 - OGH.2024.4

  • Zur Schadensminderungspflicht

    15 CG.2022.38 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Die im gesamten Bereich des Sozialversicherungsrechts geltende Schadenminderungspflicht und die daraus abgeleitete Selbsteingliederungslast gelten auch im Bereich des Krankengelds nach KVG. Die genannten Grundsätze gebieten grundsätzlich, die Frage nach der Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit möglichst früh zu beantworten. Freilich sind bestimmte Rahmenbedingungen zu beachten (hinreichende ärztliche Bescheinigung, objektive und subjektive Zumutbarkeit, Einkommensvergleich) (E. 10).

    15 CG.2022.38 - OGH.2023.125

  • Beiträge an die betriebliche Personalvorsorge

    SV.2023.32 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Es ergibt sich aus dem klaren Wortlaut von Art 9 lit a AHVV unmittelbar, dass sämtliche Beiträge, welche gestützt auf ein Reglement an die betriebliche Personalvorsorge entrichtet werden, beitragsfreie Leistungen sind. Eine bestimmte prozentuale Begrenzung kann nicht angenommen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass ein triftiger Grund das Ergebnis nahelegen könnte, dass der Wortlaut am wahren Sinn der Regelung vorbeizielt. Weder die Entstehungsgeschichte, noch der Zweck oder der Zusammenhang mit anderen Vorschriften, noch das Merkblatt 1.4 lassen einen solchen triftigen Grund erkennen (E 12, E 14).

    SV.2023.32 - OGH.2024.11

  • Zur Bezahlung von Überstunden und Überzeit

    07 CG.2020.333 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Bei Überstunden zwischen der vereinbarten Arbeitszeit und der Maximalarbeitszeit kann gemäss Arbeitsgesetz die Bezahlung eines Zuschlags und auch des Normallohns wegbedungen werden, nicht aber bei Überschreitung der Maximalarbeitszeit.

    07 CG.2020.333 - OGH.2023.105

  • Zum Vorbringen

    15 CG.2022.13 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    § 232 Abs 1 ZPO: Beilagen, also auch SV-Gutachten, können als Bestandteil des Vorbringens qualifiziert werden, wenn dies aus dem Vorbringen klar hervorgeht.

     § 243 Abs 2 ZPO: Mit der Bestreitung des geänderten Klagsvorbringens hat die beklagte Partei darüber verhandelt und damit ihr zeitlich abgegrenztes Widerspruchsrecht verwirkt. Eine Entscheidung über die Klagsänderung ist in diesem Fall nicht erforderlich.

     § 432 Abs 2 ZPO: Die Einräumung einer Neuerungserlaubnis zugunsten jener Partei, die in erster Instanz entgegen ihrer prozessualen Diligenzpflicht nicht vollständig vorbringt, wäre eine mit dem Grundsatz des fair trial nicht zu vereinbarende "Belohnung" der Verletzung der prozessualen Vollständigkeitspflicht (§ 178 ZPO) und damit dem Prozessgegner gegenüber nicht zu rechtfertigen.

     § 475 Abs 1 Z 2 ZPO: Der Inhalt einer Rechtsmittelerklärung kann nicht ein „Bestreiten“ und „Anerkennen“ von „Darlegungen“ des bekämpften Urteils sein, sondern nur die bestimmte Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird.

    15 CG.2022.13 - OGH.2023.108

  • Zur Beweiswürdigung und Privatgutachten

    03 CG.2020.102 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    § 272 ZPO: Fragen der Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung gehören in den Bereich des Prozessrechts und sind daher nach der lex fori zu beurteilen.

     § 272 ZPO, Art 17 PGR: „Geschäfts(un)fähigkeit“ stellt einen rechtlichen Schluss aus einem erst festzustellenden und daher den Beweisgegenstand bildenden Gesundheits- bzw Geisteszustand dar.

     §§ 351 ff ZPO: Ein Privatgutachten ist selbst dann, wenn es von einem gerichtlich beeideten Sachverständigen erstellt wurde, nicht als Sachverständigengutachten, sondern verfahrensrechtlich als Privaturkunde anzusehen. Daraus folgt, dass das Privatgutachten den Regeln des Urkundenbeweises unterliegt. Als solche beweisen Privatgutachten lediglich, welche Ansicht der Verfasser vertritt.

     § 432 Abs 2 ZPO, §§ 351 ff ZPO: Nach der Judikatur des Fürstlichen Obersten Gerichtshofs sind dem Rechtsmittel angeschlossene Privatgutachten grundsätzlich unbeachtlich.

     § 472 Z 2 ZPO: Verfahrensmängel in erster Instanz, die im Berufungsverfahren gerügt und von der Berufungsinstanz verneint wurden, können in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden.

     § 472 Z 2 ZPO Auch die prozessuale Entscheidung, ob eine Beweisergänzung notwendig erscheint, ist ein – in dritter Instanz unüberprüfbarer – Akt der Beweiswürdigung. Daher ist die Frage, ob dem Sachverständigengutachten gefolgt werden kann oder ob ein weiteres einzuholen gewesen wäre oder ob die Privatgutachten bzw Stellungnahmen zu erörtern gewesen wären, eine Frage der in dritter Instanz nicht überprüfbaren Beweiswürdigung.

    03 CG.2020.102 - OGH.2023.104

  • Zur Rechtsrüge

    05 CG.2022.100 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Eine Rechtsrüge, die sich (überwiegend) von den Feststellungen entfernt und in (unrichtigen) Rechtsbehauptungen erschöpft oder darauf beschränkt, allgemein die Unrichtigkeit der unterinstanzlichen rechtlichen Beurteilung zu behaupten, ohne dies im Sinn einer Auseinandersetzung mit den Argumenten des Berufungsgerichts zu konkretisieren, ist nicht gesetzmässig ausgeführt und einer Behandlung durch das Revisionsgericht nicht zugänglich.

    05 CG.2022.100 - OGH.2023.117+118

  • Rechtsmittel per E-Mail an Richter oder andere Gerichtspersonen nicht zulässig und nicht fristwahrend.

    09 CG.2023.17 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    §§ 437 Abs 1, 75 Z 3 ZPO und §§ 84, 85 ZPO: An Organe oder Bedienstete des Gerichts per E-Mail übermittelte Rechtsbehelfe wirken in der Regel nicht fristwahrend. Eine Ausnahme kann - abhängig von den Umständen des Einzelfalls -  beispielsweise dann gerechtfertigt sein, wenn ein Fehler vorliegt, der nach §§ 84, 85 ZPO verbesserungsfähig und somit nicht auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme dieses Rechtsinstituts zurückzuführen ist.

    Art 8 Abs 1 MWSTG: Eine von Rechtsanwälten gegenüber einem im mehrwertsteuerrechtlichen Ausland, das heisst nicht im Fürstentum Liechtenstein oder der Schweiz, wohnhaften Klienten erbrachte Dienstleistung gilt als im Ausland erbracht.

    09 CG.2023.17 - OGH.2023.99

  • Bereicherungsrechtlicher Rückerstattungsanspruch, Verjährungsfrist

    05 CG.2022.270 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    Bereicherungsansprüche unterliegen grundsätzlich der dreissigjährigen Regelverjährung gemäss § 1478 ABGB. Davon zu unterscheiden sind die „Forderungen aus dem Versicherungsvertrag“, die ihrer Rechtsnatur nach Erfüllungsansprüche sind; für sie gilt gemäss Art 38 VersVG eine fünfjährige Verjährungsfrist. Eine analoge Anwendung des Art 38 VersVG auf den bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch nach erklärtem Vertragsrücktritt findet nicht statt.

    05 CG.2022.270 - OGH.2023.83

  • Zur Invalidenrente: nachträglich eingereichte medizinische Unterlagen

    SV.2023.24 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    Nachträglich eingereichte medizinische Unterlagen sind – soweit nicht das bereits vorliegende medizinische Gutachten in Frage steht – nicht von den Sachverständigen des bereits erstellten Gutachtens zu begutachten, sondern im Rahmen einer Beweiswürdigung durch die IV einzuordnen. Diese hat in der Folge zu entscheiden, ob die Beweiswürdigung bereits zu einem hinreichenden Resultat geführt hat oder ob im Rahmen der Untersuchungspflicht ein (Verlaufs-)Gutachten einzuholen ist (E. 8.8).

    SV.2023.24 - OGH.2023.100

  • Invalidenrente und Wohnsitz

    SV.2023.23 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    Art 34 Abs 1 lit a einerseits und Art 34 Abs 1 lit b AHVG anderseits sind alternativ zu verstehen. Wenn Art 34 Abs 1 lit a AHVG an erster Stelle das Unterstellungkriterium des zivilrechtlichen Wohnsitzes nennt, wird damit der Charakter einer Volksversicherung betont. Mehr kann daraus nicht abgeleitet werden. Die ständige Verwaltungspraxis hat seit je bei paralleler Erfüllung des Unterstellungskriteriums des zivilrechtlichen Wohnsitzes und zugleich der Erwerbstätigkeit einzig auf das Unterstellungkriterium der Erwerbstätigkeit abgestellt. Andernfalls würde resultieren, dass ein und dieselbe erwerbstätige und in Liechtenstein wohnhafte Person sowohl Erwerbstätigenbeiträge wie auch Nichterwerbstätigenbeiträge bezahlen müsste.

    Das Prinzip, dass bei paralleler Erfüllung des Kriteriums des Wohnsitzes und der Erwerbstätigkeit die Unterstellung primär wegen Erwerbstätigkeit vorgenommen wird, gilt auch im internationalen Bereich, wenn hier eine Erwerbstätigkeit im einen (Vertrags-)Staat mit der Nichterwerbstätigkeit/dem Wohnsitz im anderen (Vertrags-)Staat zusammenfällt. Entsprechende staatsvertragliche Regelungen, welche auf das Erwerbsortsprinzip abstellen, bringen insoweit mit sich, dass bei Erwerbstätigkeit im einen Staat (beispielsweise in der Schweiz) trotz Wohnsitzes im anderen Staat (beispielsweise in Liechtenstein) hier eine obligatorische Versicherungsunterstellung fehlt (E 7.4).

    SV.2023.23 - OGH.2023.88

  • Klagseinschränkung und unrichtige Rechtsmittelbelehrung

    03 CG.2019.11 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    § 243 Abs 4 ZPO: Die Umstellung des Klagebegehrens von Herausgabe einer Sache an die Partei auf Gerichtserlag bedeutet ein Minus und damit eine Klagseinschränkung.  

    §§ 431, 471 ZPO: Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung eröffnet keine vom Gesetz nicht vorgesehene Rechtsmittelmöglichkeit. Jedenfalls die rechtskundig vertretenen Parteien können auf eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung nicht vertrauen.

    03 CG.2019.11 - OGH.2023.85+86

  • Verfahrensmängel erster Instanz und gesetzmässige Ausführung der Revision

    08 CG.2023.13 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    § 472 Z 1, § 446 Abs 1 Z 9 ZPO: Von einer mangelnder Begründung im Sinne des Nichtigkeitsgrundes des § 446 Abs 1 Z 9 ZPO kann nur dort gesprochen werden, wo die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt.

     § 472 Z 2 ZPO: Ein Verfahrensmangel erster Instanz, der im Berufungsverfahren zwar gerügt, vom Berufungsgericht aber verneint worden ist, kann im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden.

     § 475 Abs 2 ZPO: Weitläufige „Einleitungen“ vor der konkreten Rechtsrüge entsprechen § 475 Abs 2 ZPO nicht und sind per se gesetzwidrig.

     § 475 Abs 2 ZPO: Dass das Fürstliche Obergericht angeblich über die Berufung „drübergefahren“ sei bzw „das gesamte Verfahren … dem Grunde nach auf rechtlich verfehlten Überlegungen“ basiere, stellt keine gesetzmässige Ausführung des Rechtsmittelgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung dar.

     § 475 Abs 2 ZPO: Eine Revision, die verfahrensrechtliche Grundsätze nicht berücksichtigt, ist „nicht gesetzmässig ausgeführt“.

     § 475 Abs 2 ZPO: Geht der Rechtsmittelwerber nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, dann ist der Revisionsgrund des § 472 Z 4 ZPO nicht gesetzmässig ausgeführt und sind die Ausführungen unbeachtlich.

    08 CG.2023.13 - OGH.2023.126

  • Zu Verfahrensmängeln erster Instanz

    02 CG.2020.217 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    Wurde ein Mangel erster Instanz in der Berufung geltend gemacht, vom Berufungsgericht jedoch verneint, dann kann der Mangel gewöhnlich (von Ausnahmefällen abgesehen) in der Revision nicht mehr gerügt werden.

    §§ 196, 328 ZPO: Die angebliche Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (bei Einvernahme eines Zeugen durch den ersuchten Richter nach) ist seit der ZPO-Novelle 2018 rügepflichtig.

    §§ 266 ZPO: Eine im Verfahren vorgelegte Urkunde, die ihrem Inhalt nach unstrittig ist, kann der Entscheidung des Revisionsgerichts zugrunde gelegt werden.

    Art 100 Abs 1 LV: Schriftliche Aussagen von Zeugen sind dem liechtensteinischen Zivilprozess fremd (Grundsätze der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit).

    02 CG.2020.217 - OGH.2023.68

  • Richterliche Betragsschätzung: Anfechtbar nur bei Ermessensexzess

    CO.2023.1 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    § 60 Abs 2 ZPO: Beim Kautionsverfahren handelt es sich um ein summarisches Bescheinigungsverfahren, welches auf prognostischer Grundlage beschleunigt durchzuführen ist.

    Der Betrag der zu leistenden Sicherheit ist nicht „auf das Komma genau“ zu berechnen, zumal es sich immer um eine Prognoseentscheidung handelt, der eine Ungenauigkeit immanent ist.

    § 60 Abs 2, § 273 ZPO: Entscheidungen des Gerichts aufgrund richterlicher Betragsschätzung (§ 273 ZPO) können nur unter dem Aspekt eines „Ermessensexzesses“ erfolgreich bekämpft werden.

    § 267 Abs 1 ZPO: Ein schlüssiges Geständnis mangels eines ausdrücklichen Bestreitens des gegnerischen Vorbringens kann grundsätzlich nur unter Berücksichtigung des Gesamtvorbringen der nicht bestreitenden Partei angenommen werden.

    CO.2023.1 - OGH.2023.43

  • Zu Schadenersatzansprüchen

    09 CG.2022.31 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    § 232 ZPO: Jeder von mehreren in einer Klage geltend gemachten Schadenersatzansprüchen muss ziffernmässig bestimmt und individualisiert sein.

    09 CG.2022.31 - OGH.2023.54

  • Zur Nichtigkeitsklage

    15 CG.2022.130 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

     § 497  Abs 2 ZPO: Erfolglose Geltendmachung der mangelnden Vertretung im Vorverfahren schliesst Nichtigkeitsklage aus.

    15 CG.2022.130 - OGH.2023.93

  • Zurückziehung der Revision

    08 CG.2022.207 - ON 83 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    §§ 482, 454 ZPO: Die Zurückziehung der Revision ist bis zur Entscheidung über diese zulässig; das ist mit deklarativem Beschluss zur Kenntnis zu nehmen.

    Eine Kostenentscheidung ist mit diesem Beschluss in der Regel (noch) nicht zu treffen. Über die aus der Zurückziehung der Revision nach § 454 Abs 3 ZPO iVm § 482 ZPO resultierende Kostenersatzpflicht des Rechtsmittelwerbers ist nämlich nicht von Amts wegen zu entscheiden. Voraussetzung für einen Kostenzuspruch ist vielmehr ein darauf gerichteter, fristgebundener Antrag des Rechtsmittelgegners. Auch Kosten, die der Höhe nach bereits in der Rechtsmittelbeantwortung verzeichnet wurden, sind in diesem Fall nur über gesonderten Antrag zuzusprechen, weil der Zurückziehung eines Rechtsmittels häufig eine abschliessende aussergerichtliche Einigung der Parteien zugrunde liegt.

    08 CG.2022.207 - OGH.2023.74 ON 83

  • Invaliditätsgrad

    SV.2023.17 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    Bezogen auf ausländische Entscheidungen zur Höhe des Invaliditätsgrades besteht keine Bindungswirkung.

    SV.2023.17 - OGH.2023.79

  • Zum Urteilsspruch

    08 CG.2022.207 - ON 85 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    §§ 472 Z 2, 423 ZPO:

    In einem Urteilspruch muss sowohl der stattgebende Teil genau bezeichnet, als auch die Abweisung des nicht zugesprochenen Begehrensteils ausdrücklich enthalten sein. Das gilt auch für Entscheidungen der Rechtsmittelgerichte. Sonst kann ein Ergänzungsantrag zu stellen bzw das (Berufungs-)Urteil mangelhaft sein.

    Der nicht erledigte Teil eines Klagebegehrens scheidet aus dem Verfahren aus, sofern die nicht gänzliche Erledigung des Klagebegehrens nicht mit einem Rechtsmittel oder Ergänzungsantrag gerügt wird. Weder die Versäumung des Rechtsmittels noch des Urteilsergänzungsantrags präkludiert die Geltendmachung des nicht erledigten Anspruchs mit selbstständiger Klage.

    08 CG.2022.207 - OGH.2023.75 ON 85

  • Zur aufschiebenden Wirkung

    SV.2023.27 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    Die aufschiebende Wirkung bedeutet, dass die in Frage stehende Rechtsfolge vorläufig nicht eintritt, sondern gehemmt wird. Der tatsächliche und rechtliche Zustand soll insoweit einstweilen erhalten bleiben. Bei der aufschiebenden Wirkung soll wie bei allen vorsorglichen Massnahmen, der durch den Endentscheid zu regelnde Zustand weder präjudiziert noch verunmöglicht werden. Einer Prognose des Ausgangs im Hauptverfahren kann nur Bedeutung zukommen, wenn ein solcher Ausgang des Verfahrens mit grosser Wahrscheinlichkeit eintritt. Die Sozialversicherung hat ein erhebliches Interesse daran, Rückforderungen zu vermeiden, was bei der Prüfung der aufschiebenden Wirkung massgebend zu berücksichtigen ist.

    SV.2023.27 - OGH.2023.82

  • Fälligkeit des Darlehens nach "Möglichkeit und Tunlichkeit"

    09 CG.2023.26 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    Die Fälligkeit nach „Möglichkeit und Tunlichkeit“ ist eine Spielart rechtsgeschäftlicher Terminisierung. Der Ausdruck, nach „Möglichkeit und Tunlichkeit“ zu zahlen, ist eher ungebräuchlich, der Schuldner umschreibt diese Erfüllungsform beispielsweise mit den Worten „werde nach und nach zahlen“ oder „bei Besserung der Verhältnisse, des Vermögens und/oder Einkommens“ (hier: Wenn es der Schuldnerin finanziell besser geht). „Tunlichkeit und Möglichkeit“ bedeutet nicht Leistung nach Belieben, berechtigt also nicht zu einem zeitlichen Hinausschieben auf lange Zeit.

    09 CG.2023.26 - OGH.2023.98

  • Invalidität, Kindesalter

    SV.2023.19 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    Ohne hinzutretende Gesichtspunkte ist bei der Bestimmung der Invalidität nicht immer ein Statuswechsel vorzunehmen, wenn das (jüngste) Kind das Alter 15 erreicht hat. Es sind unterschiedliche Kriterien von Bedeutung, welche für die Klärung der Statusfrage massgebend sind. Es ist somit allemal eine einzelfallbezogene Beurteilung vorzunehmen (E. 8.5). Wenn die versicherte Person zwar tatsächlich erwerbstätig ist, aber das zumutbare Stellenpensum nicht vollständig ausschöpft, ist für die Bestimmung des Invalideneinkommens eine Hochrechnung des effektiven Einkommens auf das zumutbare Pensum an sich möglich. Wenn indessen die Arbeitgeberin eine Pensumserhöhung gänzlich ausschliesst, muss die versicherte Person zwecks voller Ausschöpfung ihrer Arbeitsfähigkeit eine zusätzliche Arbeitsstelle suchen, wobei diesbezüglich auf LSE-Tabellenwerte abzustellen ist. Damit wird auf denjenigen Lohn abgestellt, welcher im allgemeinen Arbeitsmarkt gespiegelt ist (E. 9.4)

    SV.2023.19 - OGH.2023.91

  • ordre public

    08 CG.2022.41 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    1) Der ordre public dient dem Schutz der inländischen Rechtsordnung, nicht so sehr der inländischen Rechtssubjekte. Die individuelle Rechtssphäre der Inländer ist nicht Schutzobjekt. Weil die ordre-public-Klausel eine systemwidrige Ausnahme darstellt, wird allgemein sparsamster Gebrauch gefordert. Eine schlichte Unbilligkeit des Ergebnisses genügt ebenso wenig wie der blosse Widerspruch zu zwingenden liechtensteinischen Vorschriften (hier: kein Verstoss gegen den ordre public, dass der Kläger im Rahmen der in Österreich abgeschlossenen Scheidungsvereinbarung den Unterhaltsanspruch der Beklagten auf Basis seines Verschuldens anerkannt hat).

    2)   Bei selbständig Erwerbstätigen ist ganz allgemein das Durchschnittseinkommen der letzten drei Jahre massgeblich.

    3)   Bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage sind auch alle geldwerten Naturalbezüge (Sachbezüge mit Einkommensfunktion) zu berücksichtigen.

    4)   Pensionsleistungen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung oder einer betrieblichen Altersvorsorge fallen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage.

    5)      Bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs im Ausland lebender Kinder eines im Inland wohnenden Elternteils sollen die Unterhaltsbeiträge einerseits in einem angemessenen Verhältnis zu den durchschnittlichen Lebensverhältnissen und zur Kaufkraft im Heimatland der Kinder stehen und andererseits die Kinder am Lebensstandard des in Liechtenstein lebenden Unterhaltsverpflichteten teilnehmen lassen. Diese Rechtsprechung gilt auch für den Ehegattenunterhalt.

    08 CG.2022.41 - OGH.2023.76

  • Grundsätzliches zur Ausschliesslichkeit einer Gerichtstandsvereinbarung

    05 CG.2021.179 vom 03.11.2023

    Rechtssatz

    § 53 Abs 2 JN bezieht sich auf Rechtsstreitigkeiten aus einem Rechtsverhältnis, nicht auf solche, die bloss im Zusammenhang mit diesem stehen. Im Zweifel ist kein vereinbarter ausschliesslicher Gerichtsstand, sondern ein Wahlgerichtsstand anzunehmen.

    05 CG.2021.179 - OGH.2022.89

  • Zum Sicherungsverfahren und zur Sicherheitsleistung

    07 CG.2020.233 vom 03.11.2023

    Rechtssatz

    1. § 487 Abs 1 ZPO, Art 137 PGR, § 60 Abs 3 ZPO: Der Beschluss des Berufungssenates, mit dem der Antrag, die Berufung wegen des nicht rechtzeitigen Erlags der Sicherheitsleistung für zurückgenommen zu erklären, abgewiesen wird, ist trotz der Rechtsmittelbeschränkung des § 487 Abs 1 ZPO anfechtbar.

    2. Art 275 Abs 1 lit a, Art 284 Abs 1 lit f EO: Der Sicherungswerber hat in seinem Antrag das zu verwahrende/verwaltende bewegliche Objekt genau zu beschreiben und überdies zu bescheinigen, dass sich die betroffene Sache im Eigentum (Gewahrsame ist nicht ausreichend) des Sicherungsgegners befindet, um möglichst das Abirren der Exekution in die Rechtssphäre eines Dritten zu verhindern. Ab der Zustellung eines auf die gerichtliche Hinterlegung eines Geldbetrages gerichteten Sicherungsbotes ist es dem Verpflichteten untersagt, über den Geldbetrag anderweitig zu verfügen.

    07 CG.2020.233 - OGH.2023.66

  • Umgang mit fehlenden, aber in Parteieingaben erwähnten ärztlichen Berichten

    SV.2023.8 vom 01.09.2023

    Rechtssatz

    Wenn in einem IV-Verfahren ohne Einsicht in die angerufenen und im Urteil des Fürstlichen Obergerichts thematisierten (aber in den Akten fehlenden) ärztlichen Berichte ausgeschlossen ist, zu beurteilen, ob eine hinreichende Verschlechterung eingetreten ist oder nicht, müssen die entsprechenden Unterlagen eingefordert werden. Es müssen die genannten Berichte effektiv vorliegen und bezogen auf ihren Inhalt gewürdigt werden, damit eine Einordnung erfolgen kann (E 9.7 – 9.9).

    SV.2023.8 - OGH.2023.61

  • Zur fürsorglichen Unterbringung bei Gefahr in Verzug

    04 SH.2023.26 vom 08.08.2023

    Rechtssatz

    1. Art 18g Abs 2 Satz 2 SHG: Bei der Frist von 15 Arbeitstagen handelt es sich um eine instruktionelle Frist. Wird diese von der Einrichtung nicht eingehalten, bringt dies keine unmittelbaren Säumnisfolgen mit sich.

    2. Verneint das Rekursgericht eine erstgerichtliche Mangelhaftigkeit oder Nichtigkeit, so kann dies im Allgemeinen vom OGH nicht überprüft werden, sofern sich das Rekursgericht inhaltlich und umfassend mit der entsprechenden Rüge auseinandergesetzt hat bzw. keine aktenwidrige Begründung vorliegt. Ob dieser Grundsatz zum Wohl eines Betroffenen im Unterbringungsverfahren durchbrochen wird, muss in diesem Verfahren nicht abschliessend geprüft werden.

    3. In jenen Fällen, in denen ein gerichtlicher Beschluss das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit berührt, steht dem Betroffenen (Beeinträchtigten) auch noch nach Aufhebung der freiheitsbeschränkenden Massnahmen – hier: nach Aufhebung der Unterbringung – ein rechtliches Interesse an der Feststellung zu, dass die freiheitsbeschränkende Vorkehrung zu Unrecht erfolgt sei (auch mit Hinweis auf Judikatur des Schweizer Bundesgerichts).

    04 SH.2023.26 . OGH.2023.60

  • Zur Haftung des Treuhänders

    03 CG.2021.71 vom 07.07.2023

    Rechtssatz

    § 1304 ABGB: Eine fahrlässige, zum Schaden der Verbandsperson führende Unterlassung eines Dritten führt im Regelfall zu keiner Schadenersatzpflicht gegenüber einer Verbandsperson, die (durch ihre Organe) vorsätzlich zu ihrem Nachteil handelte (Fortschreibung der Judikatur zu LES 2006, 357).

  • Zum Haftungsausschluss in der Berufshaftpflichtversicherung

    09 CG.2021.299 vom 05.05.2023
  • Streitanhängigkeit zwischen Sicherungsanträgen

    03 CG.2020.102 vom 31.03.2023
  • Letter of Wishes und Scheidung des Stifters

    09 CG.2021.195 vom 03.03.2023

    Rechtssatz

    § 54 Abs 1 ZPO: Aus dieser Bestimmung ist abzuleiten, dass die zu verzeichnenden Kosten nach Tarifansätzen, Einheitssatz, allenfalls Streitgenossenzuschlag, Barauslagen und Mehrwertsteuer aufzuschlüsseln sind; demnach ist es nicht Sache des Gerichts, aus einem allenfalls umfangreichen Akt die angeführten Grundlagen für den Kostenzuspruch herauszufiltern, und nachzuvollziehen, welche Dolmetschgebühren von einer Partei tatsächlich entrichtet  wurden; das Verzeichnen von nicht nachvollziehbaren Pauschalbeträgen ist unzulässig.

    §§ 84, 85 ZPO: Die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens wegen der nur pauschal und ohne hinreichende Angaben verzeichneten Kosten würde auf eine unzulässige Umgehung der schon ihrem Wortlaut nach zwingenden Bestimmung des § 54 Abs 1 ZPO hinauslaufen. Ein Verbesserungsverfahren ist in diesem Fall jedenfalls dann nicht möglich, wenn Mängel nicht auf ein Versehen zurückzuführen sind, und die Verbesserung faktisch zum Austausch von bewusst unrichtig gemachten Angaben führen würde.

    Wurden im Kostenverzeichnis die richtigen Ansätze angesprochen, schadet es nicht, dass wegen eines offenbaren Versehens eine unrichtige Gesamtsumme ausgeworfen wurde. Vielmehr ist der nach den richtigen Ansätzen korrekt zu errechnende Betrag zuzuerkennen.

  • Zur Revision einer laufenden IV-Rente

    SV.2021.21 vom 02.12.2022

    Rechtssatz

    Wenn die IV über verschiedenen Zeitperioden einen einheitlichen Entscheid erlässt, ist abzugrenzen, inwieweit eine Revisionsprüfung und inwieweit eine (erstmalige) Prüfung eines Leistungsbegehrens vorgenommen wird. Dass eine laufende IV-Rente bei einer Veränderung nur „für die Zukunft“ (Art 66 IVG) angepasst werden darf, bezieht sich einzig auf die Revisionsprüfung.

    SV.2021.21 - OGH.2022.63

  • Bestimmung des Invaliditätsgrades, des Valideneinkommens nach Tabellenwerten und des Kompetenzniveaus

    SV.2022.13 vom 02.12.2022

    Rechtssatz

    Falls ausnahmsweise die Bestimmung des Valideneinkommens nach Tabellenwerten erfolgt, ist auf die LSE-Tabelle TA1 abzustellen, wenn der versicherten Person Tätigkeiten in einem weiten Bereich von Erwerbsmöglichkeiten zumutbar sind. Die Berücksichtigung des Kompetenzniveaus 2 setzt spezifische Berufsausbildungen und -Weiterbildungen voraus. Beim Invalideneinkommen ist ein Leidensabzug fallbezogen vorzunehmen, wobei zu berücksichtigen ist, ob massgebende gesundheitliche Rahmenbedingungen bereits in der ärztlichen Festlegung zu den Resterwerbsmöglichkeiten berücksichtigt wurden.

  • Schadenersatz bei wertlosen anwaltlichen Leistungen

    09 CG.2021.109 vom 02.12.2022

    Rechtssatz

    1)    Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist nur dann mängelfrei, wenn es sich mit dieser befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält. Es kommt nicht auf die Länge der Ausführungen des Berufungsgerichts bei Erledigung der Beweisrüge, sondern darauf an, ob das Berufungsgericht den wesentlichen Argumenten der Beweisrüge eigene Überlegungen – seien sie auch mit jenen des Erstgerichts identisch – entgegensetzt.

    2)    Ob die Begründung des Berufungsgerichts überzeugend ist, betrifft hingegen die irrevisible Beweiswürdigung des Berufungsgerichts.

    3)    Der Rechtsanwalt hat keinen Anspruch auf Honorar, wenn der Mandant beweist, dass und aus welchen Gründen die Leistung wertlos ist. Wenn ein Rechtsanwalt eine für den Prozessausgang wesentliche Weisung nicht befolgt, verliert er seinen Honoraranspruch, wenn er nicht beweist, dass sein weisungswidriges Handeln für den Prozesserfolg unschädlich war.

    4)    Die Verursachung (Kausalität) ist – neben dem Schaden – die erste Haftungsvoraussetzung für eine Schadenszurechnung. Entsprechend der Äquivalenztheorie ist die Kausalität mittels der conditio-sine-qua-non-Formel zu prüfen.

  • Übersendung per DHL ist in den Postenlauf bei Fristen einzurechnen

    05 CG.2022.19 vom 04.11.2022
  • Zu Unschuldsvermutung und Beweiswiederholung

    03 KG.2022.12 vom 04.11.2022

    Rechtssatz

    Eine Änderung der tatbestandsmässigen Feststellungen des erstgerichtlichen Urteiles ist nur nach Wiederholung des bezüglichen Beweisverfahrens möglich.

    Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahren liegt vor, wenn das Berufungsgericht zur subjektiven Tatseite eine andere Beweiswürdigung als das Erstgericht vornimmt, ohne die vom Erstgericht mündlich und unmittelbar aufgenommenen Beweise zu wiederholen.

    Es ist dem Gericht ohne Verletzung der Unschuldsvermutung möglich, bei seiner Entscheidungsfindung in freier Beweiswürdigung anhand prozessordnungsgemäss zustande gekommener Verfahrensergebnisse einen nicht das zu entscheidende Faktum betreffenden Tatverdacht zu bewerten. Dies gilt beispielsweise hinsichtlich der für die Annahme eines Haftgrundes nach § 131 Abs 2 StPO herangezogenen bestimmten Tatsachen (Nimmervoll, Haftrecht 2. Aufl., LexisNexis Rz 349).

    03 KG.2022.12 - OGH.2022.76

    #Unschuldsvermutung  #Beweiswiederholung  
  • Domain-Name: Grundsätze zur Verletzung von Persönlichkeitsrechten (Namensrechten)

    07 CG.2022.43 vom 07.10.2022
  • Keine Rechtsmittellegitimation des russischen Insolvenzverwalters

    05 KO.2021.317 vom 02.09.2022

    Gesetzesstelle

    Art 5, Art 10 IO, § 446 ZPO, Art 1 Abs 2 IO

    Rechtssatz

    Keine Rechtsmittellegitimation des russischen Insolvenzverwalters gegen den Insolvenzeröffnungsbeschluss des Fürstlichen Landgerichts.

    Mit der Russischen Föderation besteht weder ein Insolvenzvertrag noch eine insolvenzrechtliche Gegenseitigkeit iS Art 5 Abs 3 IO.

    Ein Konkurs kann in Liechtenstein auch dann eröffnet werden, wenn über das Vermögen des Schuldners im Ausland bereits (hier: in Russland) ein Konkurs eröffnet worden ist.

    § 446 ZPO, Art 1 Abs 2 IO: Nichtigkeit eines aufhebenden Beschlusses des Fürstlichen Obergerichts, wenn der Rechtsmittelwerber zum Rechtsmittel nicht legitimiert war und damit der aufgehobene Beschluss des Erstgerichts bereits in Rechtskraft erwachsen war.

    05 KO.2021.317 - OGH.2022.26-29

  • Überschiessende Feststellungen

    05 CG.2022.126 vom 02.09.2022

    Rechtssatz

    Durch die Beweisaufnahme hervorgekommene Umstände dürfen vom Gericht nur dann berücksichtigt werden, wenn sie in einem entsprechenden Parteienvorbringen Deckung finden.

    Die unzulässige Berücksichtigung einer sogenannten überschiessenden Feststellung, also einer solchen, die nicht durch eine Prozessbehauptung gedeckt ist, ist mit Rechtsrüge geltend zu machen.

  • Zur einheitlichen und notwendigen Streitgenossenschaft

    04 CG.2017.612 vom 02.09.2022

    Aus den Entscheidungsgründen:

    "[...] 

    11. Die Revisionen sind nicht berechtigt. Der Fürstliche Oberste Gerichtshof hat Folgendes erwogen:

    11.1. In erster Linie ist hier nur die Frage zu klären, ob die ***** als dritte Partei des Transfer of Shares and Assignment Agreement in den Prozess als notwendige Streitgenossin miteinzubeziehen gewesen wäre oder eben nicht. Dabei können die Revisionen der Klägerin und der Nebenintervenienten zusammen behandelt werden. Die Untergerichte haben entschieden, dass eine einheitliche und notwendige Streitgenossenschaft vorliege und deshalb die Klage, die nur zwischen der ***** Foundation (gelöscht) als Klägerin und der ***** Foundation anhängig gemacht wurde, abzuweisen sei Die ***** ist nicht am Prozess beteiligt.

    11.2. Die allgemeinen Grundsätze in Bezug auf die einheitliche Streitpartei wurden schon ausreichend von den Untergerichten und auch den Parteien ausgeführt. Im Zweifel liegt eine einheitliche und notwendige Streitpartei dann vor, wenn wegen Nichterfassung aller Beteiligten die Gefahr unlösbarer Verwicklungen durch divergierende Einzelentscheidungen besteht und wo die positive Erledigung einer Einzelklage nicht zu einem von weiteren Erfolgen unabhängigen endgültigen Erfolg führt (Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 14 Rz 1; Auer in Höllwerth/Ziehensack TaKo ZPO § 14 Rz 6). Im Rechtsstreit um die Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrages bilden in der Regel sämtliche Vertragsparteien eine notwendige Streitgenossenschaft (RIS-Justiz RS0083003; öOGH 2 Ob 25/20w 24.04.2020). Mit der Klage begehrt der Kläger Folgendes: „Das Fürstliche Landgericht möge mit Wirkung für die Streitparteien feststellen, dass die zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei sowie der ***** Holding Ltd, *****, Valletta, *****, Malta registrierte maltesischen Gesellschaftsregister (Register of Companys) unter Registernummer (Registration Number) ***** [nachfolgend „***** Holding Ltd.“], am 11.03.2011 abgeschlossene Vertrag „Transfer of Shares and Assignment Agreement“ nichtig bzw unwirksam ist“. Dies gilt für das Hauptbegehren und die zwei ersten Eventualbegehren. In weiterer Folge kommen dann verschiedene Leistungsbegehren dazu. Nach dem klaren und unmissverständlichen Klagebegehren soll sohin die zwischen drei Parteien abgeschlossene Vereinbarung für nichtig bzw unwirksam erklärt werden. Dies ergibt sich auch aus der festgestellten Vereinbarung, wo zuvorderst steht: „Diese Vereinbarung über die Übertragung von Aktien und Zession (die Vereinbarung) wurde am 11. März durch und zwischen dem folgenden Parteien abgeschlossen: 1. ***** Stiftung […], 2. ***** Stiftung […] und 3. ***** Holding Ltd (jede Partei und alle zusammen als Parteien).“ Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass die Vereinbarung ganz bewusst zwischen den drei Parteien ***** Foundation, ***** Foundation und ***** abgeschlossen wurde und die ***** nicht nur deshalb als „irrtümlich“ oder „unscharf bezeichnet“ vorkommt, weil sie gewisse nur Nebenpflichten übernommen hat, wie beispielsweise die Geheimhaltung oder die Einwilligung als Schuldnerin in die Zession der ***** Foundation. In den allgemeinen Bestimmungen der Vereinbarung (Art 9) ist in 9.1. festgehalten, dass jede Partei auf ihre eigene Kosten zustimmt, alle weiteren Handlungen und Dinge auszuführen (oder die Ausführung zu erwirken) und alle weiteren Dokumente anzufertigen und zu übergeben (oder die Anfertigung und Übergabe zu erwirken), welche das Gesetz oder eine andere Partei in vernünftiger Weise entweder am und nach dem Stichtag verlangen, um die Übertragung der Aktien und/oder die Zession der ***** Foundation durchzuführen und/oder zu bewirken und den Kaufpreis 1 und den Verkaufspreis 2 voll zu bezahlen. Nach 9.2. kann jede Partei auf das Recht zur Durchsetzung der Erfüllung jeglicher Verpflichtung der anderen Partei gemäss dieser Vereinbarung verzichten, vorausgesetzt, dass ein solcher Verzicht schriftlich gemacht und von der betroffenen Partei ordnungsgemäss unterzeichnet wird. Der Verzicht auf die Rechte der Parteien in Bezug auf eine Verletzung einer dieser Bestimmungen soll nicht den Effekt eines Verzichts auf das Recht zur Durchsetzung der Erfüllung haben oder so interpretiert werden, betreffend die Verletzung einer Bestimmung, die mit dem Verzicht in Zusammenhang steht. Eine Fristverlängerung zur Erfüllung einer Verpflichtung oder Handlung soll nicht als Fristverlängerung für die Erfüllung einer anderen Verpflichtung oder Handlung verstanden werden. Diese Bestimmungen berechtigen also die ***** auch, dass die anderen beiden Parteien alle Handlungen und Dinge ausführen, die zum Aktionärswechsel notwendig sind. Es darf nicht übersehen werden, dass zwar die ***** Foundation und die ***** Foundation Stiftungen mit Sitz in Liechtenstein sind, dass aber die ***** offenbar eine Aktiengesellschaft ist, die maltesischem Recht unterliegt und in weiterer Folge zur Erfüllung dieser Vereinbarung noch weitere Rechtsakte der von der ***** gehaltenen operativen Firmen notwendig sind und dort Gesellschaften nach dem Recht der Niederlande und nach dem Recht der tschechischen Republik auch eine Rolle spielen und die hinter dem gesamten Familienkonvolut stehenden natürlichen Personen offenkundig (nicht festgestellt) tschechische Staatsangehörige sind. Dass bei diesen Verhältnissen die gegenseitigen Rechte und Pflichten, bis auf die Hauptpflichten der Übergabe der Aktien und der Abtretung, nur sehr allgemein gehalten wurden, ist verständlich, aber es handelt sich dennoch um Rechte und Pflichten, die nach dem sonst ausserordentlich genau verfassten Vertrag nach der Absicht der Parteien auch die ***** betreffen (RIS Justiz RS0014002; öOGH 7 Ob 160/08t = ecolex 2009,312 = RZ 2009, 140 = MietSlg 60.091).

    11.3. Die drei Parteien der Vereinbarung bilden sohin eine einheitliche Streitpartei gemäss § 14 ZPO, die auch eine notwendige ist. Das Urteil im gegenständlichen Fall über die Nichtigkeit („bzw Unwirksamkeit“) muss sich auf alle drei Parteien erstrecken. Sonst würden im Hinblick auf die allgemeinen Berechtigungen und Verpflichtungen der drei Parteien vor allem aus Art 9 der Vereinbarung widersprüchliche Konsequenzen entstehen, so wenn zum Beispiel die *****, die an das Urteil zwischen ***** und ***** nicht gebunden wäre, es unterlässt die weiteren Dokumente zur Rückübertragung der Aktien anzufertigen oder dort weitere Handlungen auszuführen. Es müsste dann wiederum von der ***** Foundation (gelöscht) geklagt werden und könnten die ganzen Einwendungen wiederum erhoben werden, was auch zu verschiedenen Urteilen führen könnte. Alles in allem liegt sohin eine einheitliche notwendige Streitgenossenschaft zwischen der ***** Foundation (gelöscht), der ***** Foundation und der ***** vor, sodass zu Recht die Klage mangels Sachlegitimation abgewiesen wurde.

    11.4. Auf die Verfahrensrügen und die geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel ist nicht weiter einzugehen, da sich die Abweisung des Klagebegehrens wegen mangelnder Sachlegitimation allein aus den zur Gänze festgestellten und unbestrittenen Vereinbarung Beilage A ergibt.

    12. Die Rechtswahl nach Artikel 9 der Vereinbarung auf englisches Recht kommt hier nicht zum Tragen, da es nicht um vertragliche oder ausservertragliche Verpflichtungen aus der Vereinbarung geht."

     

  • Kollisionskurator

    1R NP.2021.100 vom 02.09.2022

    Rechtssatz

    Keine Beschwer des bestellten Kollisionskurators im Fall der Bestellung eines anderen Kollisionskurators

  • Grundsätzliches zum Mitverschuldenseinwand

    08 CG.2018.70 vom 01.07.2022

    Gesetzesstellen

    §§ 1293, 1304 ABGB; § 487 Abs 1 Z 3 ZPO

    Rechtssätze

    1.   Die Anfechtbarkeit eines vom Berufungsgericht erlassenen Aufhebungsbeschlusses hängt von der Zulassung durch das Berufungsgericht ab, dh von der Beifügung eines Rechtskraftvorbehalts. Die Begründung des Berufungsgerichts, es hätte der Beifügung eines Rechtskraftvorbehalts nicht bedurft, weil zwischen dem bestätigenden, abändernden und aufhebenden Teil ein untrennbarer Zusammenhang gegeben  sei und deshalb ein Rechtsmittel jedenfalls zulässig erscheine, kann den nicht beigesetzten Rechtskraftvorbehalt  nicht ersetzen.

    2.a)  Das Mitverschulden ist nicht von Amts wegen wahrzunehmen. Der Einwand des Mitverschuldens muss im Verfahren erster Instanz erhoben werden.

    2.b)  Es ist nicht erforderlich, dass der Beklagte das Mitverschulden des Klägers ausdrücklich geltend macht; es genügt, wenn sich dem Vorbringen  des Beklagten entnehmen lässt,  dass damit ein Verschulden  des Geschädigten behauptet wird. Die bloße Behauptung der Haftungsfreiheit - insbesondere des eigenen Verschuldens - ist jedoch kein ausreichender Mitverschuldenseinwand (hier: Das Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe das hohe spekulative Risiko gekannt, es sei aber die Verlockung des Geldes offenbar größer gewesen,  ist zu allgemein und beinhaltet keine ausreichend substantiierte Behauptung iS eines Mitverschuldens des Klägers; eine risikoreiche Veranlagung bedeutet nicht per se ein Verschulden des Anlegers).

    08 CG.2018.70 - OGH.2021.99+100

  • Zur Partei- und Prozessfähigkeit einer ausländischen Insolvenzmasse

    15 CG.2019.209 vom 06.05.2022

    Gesetzesstelle

    § 1 ZPO

    Rechtssatz

    Im Allgemeinen wird unter dem Begriff der Prozessstandschaft das Auseinanderfallen von materieller Berechtigung am Streitgegenstand und der Prozessführungsbefugnis differenziert. In solchen Konstellationen steht sohin das materiell-rechtliche Verfügungsrecht einem anderen Rechtssubjekt zu als die formell-rechtliche Prozessführungsbefugnis.

    15 CG.2019.209 - OGH.2022.15

  • Voraussetzungen der Antragslegitimation im Ausserstreitverfahren

    07 HG.2018.170 vom 01.04.2022

    Gesetzesstelle

    Art 141 PGR, Art 2 Abs 1 AussStrG

    Rechtssatz

    1) Art 2 Abs 1 AussStrG: Ist dem Antrag ein Vorbringen, dass der Einschreiter ein eigenes subjektives Recht geltend machen wollte, nicht ausreichend deutlich zu entnehmen, so ist - auch bei formeller Antragstellung (Art 2 Abs 1 Z 1 AussStrG) - die Parteistellung und Rechtsmittelbefugnis des Einschreiters zu verneinen.

    2) Art 141 PGR, Art 2 Abs 1 AussStrG: Auch für die Aktivlegitimation zur Stellung eines Antrags auf Beistandsbestellung für eine gelöschte Verbandsperson, um Ansprüche der Stiftung gegen Dritte geltend zu machen, ist Voraussetzung, dass der Antragsteller in seinen eigenen subjektiven Rechten unmittelbar betroffen ist. Diese Voraussetzung ist bei einem ehemaligen Stiftungsrat bzw einem Begünstigten der Stiftung nicht gegeben.

    07 HG.2018.170 - OGH.2022.9

  • Wahrung der Schriftform durch E-Mail mit unterfertigtem Schriftsatz als Anhang

    09 CG.2020.97 vom 04.03.2022

    Gesetzesstelle

    § 886 ABGB, Art 65 Abs 2 VersVG

    Rechtssatz

    Kann kein Zweifel bestehen, wer der Versender und der Empfänger der E-Mail und des im Anhang zu findenden Schriftsatzes ist, über dessen Inhalt ebenfalls keine Unklarheiten bestehen, dann erfordern die Zwecke der Formvorschrift (Schutz vor Übereilung, Beweissicherung und/oder Rechtssicherheit im Geschäftsverkehr) es nicht, die Erklärung wegen der Art der Übermittlung für unwirksam zu qualifizieren.

    09 CG.2020.97 - OGH.2021.111

  • Doppelfunktionelle Parteiprozesshandlungen

    09 CG.2020.97 vom 04.03.2022

    Gesetzesstelle

    § 31 ZPO, 1002 ABGB, Art 65 Abs 2 VersVG, § 886 ABGB

    Rechtssatz

    Die Prozessvollmacht ermächtigt zu allen Handlungen, die im Prozess dem Angriff oder der Verteidigung gegen den dort erhobenen Anspruch dienen, auch wenn sie zugleich Rechtshandlungen des materiellen Rechts sind, wie etwa Aufrechnung, Rücktritt vom Vertrag, Wandlung, Minderung und andere empfangsbedürftige Willenserklärungen. Daher umfasst die Prozessvollmacht auch die sogenannten doppelfunktionellen Parteiprozesshandlungen, die zugleich Rechtshandlungen des materiellen Rechts sind.

    Wird die Unterschrift des Klagsvertreters auf dem Rubrum des Schriftsatzes (also nicht unter dem Text mit der Erklärung des Rücktrittes) angebracht, von dem aber unstrittig ist, dass dieser als Anhang zu einem E-Mail dem Beklagtenvertreter übermittelt wurde, ist unter den konkreten Umständen der wegen seines zwingenden Charakters auch von Amts wegen zu beachtende Formzweck des Art 65 VersVG noch hinreichend gewahrt.

    09 CG.2020.97 - OGH.2021.111

  • Überraschende Rechtsansicht des Berufungsgerichtes

    09 CG.2020.97 vom 04.03.2022

    Gesetzesstelle

    §§ 182, 182a ZPO

    Rechtssatz

    Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat.

    Es ist aber unzulässig, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, um den Parteien ein Vorbringen zu ermöglichen, das sie bislang nicht einmal angedeutet haben. Wenn das Berufungsgericht derartige Umstände dennoch erörtern möchte, hat es dazu im Rahmen der allenfalls auch von Amts wegen anzuberaumenden Berufungsverhandlung Gelegenheit. Damit wird der Partei die Möglichkeit eingeräumt, entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Dieses verstösst in einem solchen Fall nicht gegen das Neuerungsverbot und dient der Darlegung des entsprechenden Berufungsgrundes.

    09 CG.2020.97 - OGH.2021.111

  • Venire contra factum proprium

    09 CG.2020.97 vom 04.03.2022

    Gesetzesstelle

    Art 2 Abs 2 PGR

    Rechtssatz

    In der Rechtsprechung ist „widersprüchliches Verhalten“ (venire conra factum proprium) als Anwendungsfall des Rechtsmissbrauchs anerkannt. Darunter wird verstanden, dass der Berechtigte beim Verpflichteten durch sein Verhalten den Eindruck erweckt hat, ein ihm zustehendes Recht nicht (mehr) geltend zu machen, sodass ihm im Hinblick darauf eine spätere Berufung auf das Recht verwehrt wird. Der Berechtigte erweckt beim Verpflichteten durch sein Verhalten Vertrauen auf das Bestehen einer bestimmten Sach- und Rechtslage, weshalb die „Widersprüchlichkeit“ nur zwischen der objektiven Rechtslage und dem Verhalten des Berechtigten gesehen wird.

    09 CG.2020.97 - OGH.2021.111

  • Wirtschaftlicher Stifter:
    Rechtsmittel gegen Konkursabweisung?

    05 KO.2021.222 vom 04.02.2022

    Gesetzesstelle

    § 10 Abs 2 IO

    Rechtssatz

    Keine Rechtsmittelbefugnis des wirtschaftlichen Stifters gegen Beschluss, mit dem der Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen wird.

    Diese Rechtssache ist derzeit beim StGH anhängig.

    05 KO.2021.222 - OGH.2022.1

  • Grunddienstbarkeit

    15 CG.2018.313 vom 04.02.2022

    Gesetzesstelle

    Art 204ff SR

    Rechtssatz

    1)   Der belastete Grundeigentümer darf nicht hindern, was der Grunddienstbarkeitsberechtigte zu tun befugt ist. Währendem der Berechtigte verpflichtet ist, sein Recht in möglichst schonender Weise auszuüben („servitus civiliter exercenda), darf der Belastete nichts vornehmen, was die Ausübung der Dienstbarkeit verhindert oder erschwert. Das Verbot gegen den Belasteten, Handlungen vorzunehmen, die die Ausübung der Dienstbarkeit verhindern oder erschweren, bildet das Spiegelbild des Gebots zur schonenden Rechtsausübung.

    2)   Nicht jede Beeinträchtigung der Ausübung der Dienstbarkeit ist unzulässig, sondern nur die erhebliche.

    3)   Die Erheblichkeit beurteilt sich aufgrund einer Interessenabwägung.

    15 CG.2018.313 - OGH.2021.113

  • Zurückziehung der Revision

    02 CG.2016.113 vom 15.12.2021

    Gesetzesstelle

    §§ 454, 482 ZPO

    Rechtssatz

    1) Die für die Zurücknahme der Berufung geltenden Grundsätze sind auch für die Zurücknahme von Revisionen anzuwenden (Fortsetzung der Judikatur).

    2) Die Zurückziehung der Revision ist bis zur Entscheidung über diese zulässig und mit deklarativer Wirkung zur Kenntnis zu nehmen.

    02 CG.2016.113 - OGH.2021.97

  • Zum Verbot der reformatio in peius

    07 CG.2017.59 vom 05.11.2021

    Gesetzesstelle

    § 487 Abs 1 Z 3 ZPO

    Rechtssatz

    Über einen nach § 487 Abs 1 Z 3 ZPO für zulässig erklärten Rekurs hat der Oberste Gerichtshof in der Sache zu entscheiden, wenn die Sache spruchreif ist. Das Verbot der reformatio in peius gilt dabei nicht. Daher kann er aufgrund eines Rekurses des Klägers die Klage abweisen (hier: Abweisung der beiden Hauptbegehren und des Eventualbegehrens) und aufgrund eines Rekurses des Beklagten der Klage stattgeben.

    07 CG.2017.59 - OGH 2021.76

  • Beginn der Verjährungsfrist

    07 CG.2017.59 vom 05.11.2021

    Gesetzesstelle

    § 1489 ABGB

    Rechtssatz

    Für die Frage des Beginns der Verjährungsfrist bei Beratungsfehlern in Bezug auf Veranlagungs- und/oder Finanzierungskonzepte, die eine Kombination von Fremdwährungskrediten mit verschiedenen Tilgungsträgern vorsehen (hier: kreditfinanzierte fondsgebundene Rentenversicherung), ist entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Geschädigte erkennt oder erkennen müsste, dass das Gesamtkonzept den Zusagen nicht mehr entspricht.

    07 CG.2017.59 - OGH 2021.76

  • Prozesshandlungen des
    zurückgewiesenen Nebenintervenienten

    04 CG.2017.612 vom 10.09.2021

    Gesetzesstelle 

    § 18 ZPO

    Rechtssatz

    Der Gesetzgeber räumt dem Nebenintervenienten erkennbar eine stark unterstützende Stellung zu Gunsten der Hauptpartei ein, die aber nur dann gesichert ist, wenn sich die Hauptpartei darauf verlassen kann, dass die vom Nebenintervenienten gesetzten Prozesshandlungen auch tatsächlich für sie wirksam sind. Würden solche Rechtshandlungen des Nebenintervenienten nach Rechtskraft der Zurückweisung der Nebenintervention für unzulässig erklärt werden, bedeutete dies einen Nachteil für die Hauptpartei, der unter Umständen sogar Säumnis oder den Verlust einer Rechtsmittelmöglichkeit zur Folge haben könnte. Das wollte der Gesetzgeber erkennbar verhindern. 

    04 CG.2017.612 - OGH 2021.30+31

  • Zum Pflichtteilsanspruch nach
    deutschem Recht

    04 CG.2017.580 vom 02.07.2021

    Bei Einbringung von Vermögen in eine Stiftung

    Gesetzesstellen

    § 1624, §§ 2325 ff BGB

    Rechtssatz

    Hat sich der Erblasser und Stifter Rechte vorbehalten, die ihm eine eigentümerähnliche Rechtsposition über die in die Stiftung eingebrachten Vermögenswerte gewährt, hat er das für die Auslösung der 10-Jahres-Abschmelzungsfrist erforderliche Vermögensopfer nicht erbracht. Der auch nach deutschem Recht dem Pflichtteilsberechtigten zustehende Auskunftsanspruch dient dazu, dem Pflichtteilsberechtigten die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines eventuellen Rechtsstreits zu erleichtern, wobei Belege und Unterlagen dann vorzulegen sind, wenn es besonders auf diese ankommt, damit der Pflichtteilsberechtigte den Wert seines Anspruchs selbst abschätzen kann, oder im Fall einer Stiftung, um dem Pflichtteilsberechtigten eine eigene Einschätzung zum tatsächlichen Umfang des Nachlasses zu ermöglichen.

    04.CG.2017.580 - OGH.2021.41

  • Zur Versicherungsaufsicht

    CO.2019.1 vom 06.05.2021

    Gesetzesstellen

    VersAG alt, VersAG neu, Finanzmarktaufsichtsgesetz

    Rechtssatz

    Die EWR-rechtlichen und die nationalen Gesetzesgrundlagen zur Versicherungsaufsicht (VersAG alt, VersAG neu,  Finanzmarktaufsichtsgesetz) auch in Verbindung mit den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes sind nicht dahin auszulegen, dass einzelne Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Versicherte,  Versicherungsnehmer, Begünstigte oder geschädigte Dritte, die einen Direktanspruch gegen ein Versicherungsunternehmen haben, sind und denen nicht aufgrund eines Versicherungsvertrages eine Versicherungsforderung zusteht, aus einer behaupteten Verletzung der Versicherungsaufsicht, Staatshaftungs- oder Amtshaftungsansprüche geltend machen können.

    CO.2019.1 - OGH.2020.13

  • Zur Schenkung

    05 CG.2017.448 vom 09.04.2021

    Schenkung von Werten auf Konten

    Gesetzesstellen

    §§ 861, 914, 915, 943 ABGB

    Rechtssatz

    Das Angebot einer Nachstiftung kann auch an die erst zu errichtende Stiftung gerichtet werden und von dieser, wenn das Angebot nicht vorher wegen einer Befristung erlischt, nach Erlangen der Rechtspersönlichkeit (auch konkludent) angenommen werden.
    Die Frage, ob jemand in Schenkungsabsicht handelt, ist eine Tatfrage.
    Es genügt, dass das Schenkungsversprechen die Schriftform erfüllt, während dies für die Annahmen durch den Geschenknehmer nicht der Fall sein muss.
    Die Übergabe des Geschenkes muss nicht sofort bei Abschluss des Schenkungsvertrages stattfinden; sie kann auch nachträglich erfolgen

    Diese Rechtssache ist derzeit beim StGH anhängig.

    05.CG.2017.448 - OGH.2021.8

  • Zum Angeld

    07 CG.2017.627 vom 05.03.2021

    Rechtssatz

    1) Das Angeld ist seiner Natur nach (Sicherungsfunktion) pauschalierter Schadenersatz. Ein Schadensnachweis ist nicht erforderlich. Als pauschalierter Schadenersatz ist es der Vertragsstrafe verwandt, doch ist es nicht Vertragsstrafe. Nach dem Konzept des Gesetzes handelt es sich beim Angeld – im Gegensatz zur Konventionalstrafe – bloss um einen pauschalierten Mindestschaden.

    2) Der Schuldner ist gegen allzu unbillige Folgen des Versprechens der Vertragsstrafe zu schützen. Dies gilt auch im Fall des der Vertragsstrafe ähnlichen Angelds, sodass die für das Mässigungsrecht des § 1336 ABGB entwickelten Grundsätze auch beim Angeld analog anzuwenden sind.

    3) Die Höhe der Vertragsstrafe ist vor allem unbillig, wenn der eingetretene Schaden unverhältnismässig niedriger ist als das Pauschale. Sie kann aber nicht unter den eingetretenen Schaden herabgesetzt werden; es kann jedoch auch keiner Bestimmung entnommen werden, dass die Strafe auf die Höhe des wirklichen Schadens herabgesetzt werden muss. Die Vertragsstrafe darf somit den Schaden übersteigen, ohne dass sie aus diesem Grund gekürzt werden darf; dieser – den Schaden übersteigende – Betrag hat funktionell die Aufgabe, das ex-ante Gläubigerinteresse auszugleichen.

    4) Die Behauptungs- und Beweislast für die Mässigungskriterien trifft den Schuldner.

    07 CG.2017.627 - OGH.2020.106

    #Angeld  #Sittenwidrigkeit  #Mässigung analog der Vertragsstrafe  ABGB: § 6  
  • Zur Konkurrenzklausel bei Treuhandunternehmen

    09 CG.2017.616 vom 05.02.2021

    Teilurteil und Beschluss

    § 1173a Art 65 ABGB: Konkurrenzverbot - Kundenschutzklausel

    Anwendung schweizerischer Judikatur und Literatur; Vertrauensprinzip, Auslegung einer Klausel; Schriftformgebot; Gültigkeitsvoraussetzungen

  • Unterhaltsbemessung - anwendbares Recht

    09 CG.2019.324 vom 05.02.2021

    Gesetzesstellen:

    Art 46, 47 EheG

    Rechtssatz:

    Trotz der Rezeptionsgrundlage im chZGB ist für die Bestimmung des ehelichen Unterhaltes nach Art 46, 47 EheG im Wesentlichen die österreichische Methode und die dort dazu entwickelte Lehre und Rechtsprechung heranzuziehen, allerdings mit einer 50%gen Aufteilung des Familieneinkommens.

    Auch bei überdurchschnittlich hohem Einkommen des besserverdienenden Unterhaltspflichtigen sind der Berechnung 50% des Familieneinkommens zu Grunde zu legen. Dem steht auch nicht entgegen, wenn dadurch der Unterhalt allenfalls zu einer Vermögensbildung des Unterhaltsberechtigten beiträgt. Es besteht also kein Raum für eine dem Unterhaltspflichtigen zu belassende, also nicht aufzuteilende, Sparquote nach Schweizer Rechtsprechung.

  • Keine Unterbrechung des Provisorialverfahrens

    01 CG.2014.140 vom 16.12.2020

    Rechtssatz

    Unterbrechung eines Provisorialverfahrens kommt im Allgemeinen nicht in Betracht.

    Der Verweis auf Inhalte von in anderen Verfahren oder allenfalls in einem anderen Verfahrensstadium erstatteten Schriftsätzen ist unzulässig

    01-CG-2014-140-OGH-2020-83.doc

  • Wirrwarr im Rechtsmittel

    06 PG.2020.100 vom 06.11.2020

    Grobe Mängel in der Rechtsmittelausfertigung

    Gesetzesstellen:

    Art 65 Abs 3 lit d, Art 66 Abs 1 lit d AussStrG (§ 472 Z 4, § 475 Abs 2 ZPO)

    Rechtssatz:

    Das völlige Fehlen einer Bezugnahme auf den angefochtenen Beschluss löst auch kein Verbesserungsverfahren aus. Bei einem berufsmässigen Parteienvertreter wiegt die vollständige Inhaltsleere eines Rechtsmittels umso mehr, als ein einfacher Blick in das Gesetz (Art 65 Abs 3 lit d und Art 66 Abs 1 lit d AussStrG) die Notwendigkeit der Befassung mit der rechtlichen Beurteilung der zweitinstanzlichen Entscheidung aufzeigen würde.

    Der Fürstliche Oberste Gerichtshof hat nicht aus einem Wirrwarr an teils nicht nachvollziehbaren (Schein)Argumenten heraus zu interpretieren, was der Rechtsmittelwerber eigentlich gemeint haben könnte.

  • Haftung des Stiftungsrats

    04 CG.2013.430 vom 02.10.2020

    Haftung des Stiftungsrats gegenüber Gläubiger

    Gesetzesstellen:

    Art 182 ff, Art 218 ff, Art 222 PGR

    Rechtssatz:

    Ein Direktanspruch des Gläubigers der Stiftung gegen den Stiftungsrat besteht nur bei unmittelbarer Schädigung und fehlendem Anspruch der Stiftung. Begünstigte der Stiftung sind nicht "Mitglieder der Stiftung iS von Art 222 Abs 2 PGR.

    04-CG-2013-430-OGH-2020-82.doc

  • Übertragung der Gründerrechte

    03 CG.2020.45 vom 04.09.2020

    Gesetzesstellen:

    Art 541 PGR, §§ 1392 ff ABGB

    Rechtssatz:

    Die Gründerrechte einer Anstalt werden mittels Zession übertragen. Im Fall der Existenz einer Blankozessionserklärung ist eine Zession von Gründerrechten einer Anstalt nur rechtwirksam, wenn der Zessionar entweder die Zessionsurkunde in Besitz nimmt oder die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit eingeräumt erhält, über die von einem Dritten verwaltete Blankozessionsurkunde jederzeit zu verfügen.

    03-CG-2020-45-OGH-2020-71.doc

  • Einsicht Sachwalterschaftsakt

    06 PG.2013.22 vom 03.07.2020

    Gesetzesstellen

    § 160 AussStrG

    Rechtssatz

    Voraussetzungen für die Einsicht in den Sachwalterschaftsakt durch Erbansprecher wegen gesundheitsbezogener Daten des Betroffenen.

    Ohne den Versuch der Herbeiführung eines Anerkenntnisses gem Art 160 AussStrG ist eine solche Einsicht nicht zulässig.

    Ein Kostenersatz zwischen Erbansprechern im Zwischenstreit über die Einsicht in einen Sachwalterschaftsakt findet nicht statt (Modifizierung der Judikatur).

  • Aufschlüsselung eines Pauschalklagebegehrens

    CO.2018.1 vom 08.05.2020

    Gesetzesstelle:

    § 232 ZPO

    Rechtssatz:

    1) Macht der Kläger im Fall einer objektiven Klagenhäufung für sämtliche geltend gemachten Ansprüche einen Pauschalbetrag geltend, muss er diesen entsprechend aufschlüsseln, um dem Bestimmtheitserfordernis des § 232 ZPO (§ 226 öZPO) zu entsprechen. Wird lediglich ein Teilbetrag eingeklagt, hat der Kläger klarzustellen, welche Teile von seinem pauschal formulierten Begehren erfasst sein sollen. Es geht nicht an, die Aufteilung des Pauschalbetrags auf die einzelnen Rechtsverhältnisse dem Gericht zu überlassen. Unterlässt der Kläger eine entsprechende Aufteilung, liegt darin eine amtswegig wahrzunehmende Unschlüssigkeit.

    2) Ohne Aufschlüsselung des geltend gemachten Pauschalbetrags wäre es nicht möglich, den Umfang der Rechtskraft zu bestimmen.  

werbung werbung

Filterx

A
B
C
D
E
F
G
H
I
J
K
L
M
N
O
P
Q
R
S
T
U
V
W
X
Y
Z
Ä
Ö
Ü